»Yoga« lügt nicht
Über das Romanhafte des Faktischen von Claudia HammÜber das Romanhafte des Faktischen
Wenn ein Autor von seinen Büchern sagt: »Alles darin ist wahr«, kann man ihm den Stuhl wohl nicht glatter wegziehen als mit der Behauptung, er lüge, und das, was er schreibe, sei ein »Ehrlichkeitstheater«.
Als Emmanuel Carrère im Herbst 2020 in Frankreich sein Buch Yoga herausbrachte, lief kurz alles gut: Das Buch wurde innerhalb weniger Wochen an die 200 000 Mal verkauft und landete auf der Longlist des so hochgehandelten wie oft literaturblinden Prix Goncourt. Doch bald darauf kam die Klatschsucht und dann die Klatsche. Der Schriftsteller Frédéric Beigbeder munkelte in einer Fernsehsendung, die »erzählerische Ellipse«, die schon andere in diesem Buch ausgemacht hatten, habe mit einem drohenden Prozess zu tun, aber darüber dürfe er an dieser Stelle wohl nichts sagen, und Carrères seit einem halben Jahr von ihm geschiedene Exfrau Hélène Devynck sah sich zu einer Richtigstellung in Vanity Fair gezwungen, mit der die Wahrheit über die Lügen im Buch in die Welt kommen sollte. Carrère veröffentlichte eine Gegendarstellung in Libération, die Goncourt-Jury warf den Favoriten von ihrer Liste, und Literaturfrankreich hatte sein Herbstthema. 43 Seiten umfasst die Pressemappe von Carrères Verlag P.O.L. allein zu dieser Debatte, die schnell zu einer allgemeinen über Wahrheit und Juristerei wurde, auch nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz hallte und mich erreichte, als ich mit der Übersetzung dieses Buches begann.1