Internetkolumne – Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause

von Kathrin Passig

Wenn dieser Text erscheint, wird man ihn zwar im Netz lesen, aber nicht kommentieren können. Sie können sich darüber bei mir beklagen, ich sage dann: »Das ist eben so beim Merkur, ich würde es auch gern ändern.« Das ist gelogen. Ich finde es insgeheim ganz gut so. Wenn jemand nach dem Grund fragt, gebe ich gern an, bei Printerzeugnissen stecke man in einer unangenehmen Übergangszeit. Es gebe zwar schon allerlei Feedbackkanäle, Gedrucktes sei aber nunmal schwer bis gar nicht zu korrigieren. Das berechtige den Autor quasi dazu, die Augen zuzukneifen, denn wenn ich schon nichts ändern kann, dann will ich auch keine Kritik hören. Aber auch das ist nur eine Ausrede. InWirklichkeit will ich einfach keine Kritik hören, Punkt.

Gleichzeitig verlange ich seit gut fünfzehn Jahren, dass dieWelt die neuen Möglichkeiten des Internets nutzen soll, Unternehmen sich dem Dialog mitKunden stellen und Autoren ihre Texte nicht einfach an der Autobahnraststätte aussetzen. Wenn sich Theorie und Praxis schon in meinem Kopf nur grußlos begegnen, dann tun sie das vermutlich auch in den Köpfen anderer, und tatsächlich ist das Phänomen in einigen Bereichen zu beobachten, nicht nur in der Textbranche: Unternehmen sträuben sich gegen die Wünsche nach mehr Transparenz und Kundenkontakt, die von Berater- wie Verbraucherseite an sie herangetragen werden. Der Staat war beim Versuch, im Netz den »Dialog mit dem Bürger« aufzunehmen, bisher ungefähr so erfolgreich wie ein durchschnittlich gesprächiger Stein.

Dass man grundsätzlich »im Internet« zu sein hat, ist inzwischen nicht mehr strittig. Der Selbständige verweist darauf, er sei ja schließlich jetzt auch bei Facebook; Unternehmen, Redaktionen und Institutionen deuten auf ihre teuer eingerichteten Kommentarforen. Es geht aber nicht nur darum, eine Kommentarmöglichkeit anzubieten und auf diese Kommentare vielleicht sogar hin und wieder zu reagieren, womöglich sogar nach Feierabend. Es ginge darum, auch einmal anderswo auf Beiträge und Fragen zu antworten, an Diskussionen außerhalb des eigenen Blogs oder Facebookstreams teilzunehmen, generell im Netz ansprechbar und anwesend zu sein, anstatt nur Statements abzusondern. Man kann als Unternehmen wie als Einzelperson im Netz aktiv sein, ohne in irgendeinen produktiven Austausch mit anderen einzutreten. Die Grenze verläuft nicht zwischen Offline- und Netzkultur, zwischen analog und digital oder zwischen Journalisten und Bloggern, sondern zwischen Durchsage und Dialog.

Schon die Vorstellung, in diesen Dialog einzutreten, ist unbeliebt. Die Feedbackkanäle, die das Internet eröffnet, werden vielfach geradezu mit Stolz ignoriert. Die Amazonrezensenten hätten ja gar nicht Literaturwissenschaft studiert wie ordentliche Kritiker, Leserkommentare stammten ganz offensichtlich von Neider- oder Narrenhand, und bei Twitter und Facebook trieben sich Querulanten mit zu viel Freizeit herum. Privat gern vorgebrachte Einwände sind: »Ich will mich nicht verkaufen, ich bin doch kein Staubsaugervertreter«, »Wenn ich so was machen wollte, wäre ich nicht Autor/ Journalist geworden, sondern gleich ins Marketing gegangen«, »Zeit für Selbstvermarktung ist Zeit, die mir beim Schreiben fehlt«, »Ich finde das, was mich interessiert, doch auch nicht über Twitter oder Facebook, und das geht immer noch den meisten Lesern genauso«, »Ich will nicht den ganzen Tag im Internet rumhängen, ich habe auch noch ein Leben«, »Ich habe noch keinBlog gefunden, in dem ich auch nur lesen will, geschweige denn kommentieren«.

Der Journalist Christian Jakubetz schreibt in seinem Blog (blog-cj.de):»Immer, wenn ich auf Seminaren und Veranstaltungen wie ein Staubsaugervertreter mit diesen Geschichten von den neuen Geisteshaltungen hausieren gehe, kann ich die Gegenargumente und Einwände auswendig aufsagen: Das sei kein Journalismus. Da stehe ja doch nur Unsinn drin. Journalismus sei eine ernsthafte Sache und kein unverbindliches Geschnatter. Es sind seit Jahren die gleichen ermüdenden Debatten − und manchmal wünscht man sich, jemand wäre so ehrlich und würde einfach mal sagen, dass er schlichtweg keine Lust auf das ganze neue Zeug hat.« Dieses »keine Lust« greift aber als Erklärung zu kurz, und die stattdessen vorgebrachten Begründungen unterscheiden sich in ihrer Ausredenqualität nicht wesentlich von »Der Hund hat das Internet gefressen«. Woher kommt also der Widerstand gegen den Dialog mit Lesern, Bürgern oder Unternehmenskunden?

Zum einen gefährdet die Kontaktaufnahme verschiedene Illusionen, die für das eigene Selbstverständnis wichtig sind. Der Autor Seth Godin kündigte 2010 in seinem Blog seinen Abschied vom traditionellen Buchverlag an. Er wolle nun nicht mehr für seinen Lektor schreiben, sondern für seine Leser. »Ich hatte sehr gern Lektoren als Kunden«, schreibt er, »es sind kluge, motivierte und ausgesprochen sympathische Menschen, die sich gern darüber unterhalten, was sie sich wünschen und woran sie glauben. Sehr angenehme Kundschaft.« Weil Leser und Autor aber heute nicht mehr durch viele Instanzen und Hierarchieebenen voneinander getrennt seien, sei es nicht mehr zeitgemäß, sich den Lektor oder Verleger als Endkunden vorzustellen. »Ich weiß ja jetzt, wer meine Leser sind.«

Leser allerdings sind eine viel heterogenere und weniger autorenähnliche Gruppe als Lektoren oder Redakteure. Sie wollen nicht das, wovon der Autor denkt, sie sollten es wollen. Sie verhalten sich anders, als der Autor annimmt, und womöglich sind sie überhaupt nicht die, für die man sie bisher gehalten hat. Man will es am liebsten gar nicht so genau wissen: »Traditionell stehen Journalisten ihren Lesern eher ablehnend gegenüber und interessieren sich in erster Linie für die Anerkennung durch Mitarbeiter und Vorgesetzte«, heißt es in einer lesenswerten Studie der MediensoziologenWilson Lowrey und William Anderson. [1. Wilson Lowrey/William Anderson, The Journalist Behind the Curtain. In: Journal of Computer- Mediated Communication, Nr. 3, 2005. jcmc.indiana.edu/vol10/issue3/lowrey.html]

Lange Zeit konnte man folgenlos so tun, als sei es wünschenswert, mehr über die Leser herauszufinden. Jetzt, wo das tatsächlich geschieht, mehren sich die Anzeichen des Unbehagens. Vielleicht wurde man schon immer nur von Menschen gelesen, die das Buch nach der Hälfte weggelegt oder es einfach nur gekauft haben, um es ins Regal zu stellen? Vielleicht schreibt man für Schlaue, wird aber in Wirklichkeit hauptsächlich von Doofen gelesen? Wunschdenken darüber, wer die eigenen Leser sind, lässt sich nicht mehr so leicht aufrechterhalten, wenn man den Dialog mit diesen Lesern aufnimmt. Sie sind weder die leichtgläubigen Gimpel, die man sich wünscht, wenn die Quellenlage einmal nicht ganz so ideal ist, noch die erleuchtete Elite, für die man an den anderenTagen schreibt. Sie sind weder einem selbst noch irgendeinem Idealbild so ähnlich, wie man sie gern hätte.

Autoren und Journalisten vertreten häufig die Meinung, bei Lesungen oder in den Kommentarforen ihrer Publikationen begegneten sie nur einer ganz speziellen, nicht repräsentativen Untergruppe ihrer Gesamtleserschaft. Das ist zwar vermutlich richtig, aber ob und vor allem in welche Richtung diese Gruppe vom Leserdurchschnitt abweicht, ist völlig offen. Es könnte ebenso gut sein, dass es sich dabei um die interessiertesten, gebildetsten, sympathischsten Leser handelt. Die Nullhypothese muss bis zum Erheben weiterer Daten sein, dass die sichtbaren Leser exakt diejenigen sind, die die betreffende Zeitung kaufen oder den Autor schätzen.

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