Merkur, Nr. 726, November 2009

Die Welt als Museum? Nachruf auf eine Metapher

von Walter Grasskamp

 

1987 erschien im Merve-Verlag ein kleines Buch mit dem ebenso rätselhaften wie suggestiven Titel Die Welt als Museum. Es enthielt zwei aus dem Zusammenhang genommene Kapitel eines ansonsten nicht ins Deutsche übersetzten Buches des französischen Soziologen Henri-Pierre Jeudy, das 1985 in Paris unter dem Titel Parodies de l’auto-destruction erschienen war. In diesen beiden Kapiteln streift Jeudy zwar einschlägige Themen wie Ruinenästhetik, Denkmalschutz und das Museum, aber die im Merve-Titel angeführte Metapher bleibt unscharf und willkürlich, ja, sie kommt im Buch selber kaum mehr vor. Dagegen wirkt die Diagnose eines um sich greifenden »museographischen Wahns« ebenso drastisch wie verschwommen und die Kritik der Musealisierung insgesamt recht summarisch. Man legte das Büchlein mit dem Gefühl aus der Hand, seinem interessanten Titel aufgesessen zu sein, dem es nicht hatte gerecht werden können.

Dazu hätte es gehört, den Begriff der Musealisierung danach zu unterscheiden, ob es um die Erfolgsgeschichte der Institution gehen sollte, also um das Museum selber, oder um Konservierungsprozesse außerhalb seiner Zuständigkeit, die dem Denkmalschutz zuzurechnen sind. Das sind zwei ziemlich verschiedene Paare Museumspantoffeln, aber sie werden nicht immer auseinandergehalten. Dann aber stellt sich, wie bei Jeudy, die milde Horrorvorstellung ein, es würden mächtige Geister aus dem Museum heraus die Alltagswelt mit ihren Giften durchseuchen, was ein wenig nach einem Drehbuchkonzept für The Return of the Mummy, Part Three klingt.

 

Kompensation

Jeudy gehörte dann zu den Autoren des weitaus ergiebigeren Sammelbandes Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, den Wolfgang Zacharias 1990 herausgab. Mit diesem Buch war ein neuer Stand der Diskussion erreicht, und das nicht nur, weil hier auf Unterschiede geachtet wurde. Mit Hermann Lübbe hatte man einen Autor gewonnen, der bereits Anfang der achtziger Jahre die These aufgestellt hatte, dass Musealisierungsprozesse nicht, wie die Futuristen einst suggerierten, gegen die Moderne gerichtete Zeitfluchten eines feigen Vergangenheitskultes sind, des »Passatismus«, sondern zur Moderne gehören und sie erst auf Dauer ermöglicht haben.

Lübbe hatte damit die aus der Münsteraner Ritter-Schule hervorgegangene, vor allem von Odo Marquard vertretene anthropologische Kompensationstheorie auf Museum und Denkmalschutz übertragen und dabei plausibel machen können, dass gerade das Museum eine durch und durch moderne Institution ist, sozusagen das integrierte Alter ego der Moderne. Auf deren Zerstörungspotential hat es in der Tat als eine paradoxe, nämlich bewahrende Entsorgungsanstalt reagiert: Die schockhafte Destruktivität des Industriezeitalters musste die ausschnitthafte Konservierung von Historie und Alltagswelt provozieren und machte sie zugleich über die Innovationsgewinne finanzierbar. Dafür hätte man vor nicht allzu langer Zeit (ein aus der Mode gekommener Begriff) die Dialektik ins Spiel bringen können.

Wenn man die Modernisierung verantwortlichmacht für die kompensatorische Musealisierung, dann sind dafür bisher insgesamt fünf Impulse benannt worden, die eine Ästhetisierung der Weltsicht provozierten: Neben der Industrialisierung sind es der revolutionäre Vandalismus sowie die Reibungsverluste der Säkularisation gewesen, weiterhin der Krieg mit der durch den Luftkrieg gewachsenen Zerstörungsbedrohung für das einstige Hinterland der Front. In ihrem Sinne versuchten die neu begründeten Disziplinen Kunst- und Baugeschichte Objekte und Gebäude zu bewahren, von denen viele zuvor jedem historischen Wandel wie selbstverständlich zum Opfer gefallen waren − sei es einem Wandel der Herrschaft, wie in der Französischen Revolution, oder sei es, in der Neuzeit kaum weniger verheerend, nur einem des Geschmacks.

Als Gegenspieler solcher Zerstörungen ist der Denkmalschutz eine markante Reaktion der Moderne geblieben, seit im 19. Jahrhundert der Konflikt zwischen den Vertretern von Restaurierung und Konservierung in Eugène Viollet-le-Duc und John Ruskin seine Exponenten fand. Aber auch das Museum reagierte, als nunmehr bürgerliche Institution, auf das Innovationstempo der Industrialisierung, und zwar mit einer breiten Auffächerung seiner Zuständigkeiten in Spezialmuseen, auf die auch die vorherigen Feudalsammlungen verteilt wurden, was den falschen Eindruck einer hohen institutionellen Kontinuität begünstigte.

Als die Futuristen dann forderten, Florenz mit einer Mauer zu umgeben, um an deren Toren Eintritt zu erheben, machten sie den fünften Impuls des Denkmalschutzes und des Museumswachstums zum Thema, den Bildungstourismus des 18. und 19. Jahrhunderts. Für ihn hat Linda Maria Pütter 1998 in ihrer Dissertation über Bildungserlebnisse deutscher Schriftsteller in Italien (1770−1830) den passenden Titel gefunden: Reisen durchs Museum. Den literarisch induzierten Italientourismus des 19.Jahrhunderts kann man in der Tat als langen Abschiedsbesuch eines Bürgertums betrachten, das von der industriellen Zerstörung seiner heimischen Alltagswelt profitierte, aber andere dafür intakt bewahrt sehen wollte, und sei es auch nur für den Urlaub. Zunächst wurden italienische Städte zu solchen territorialen Museen, deren Bevölkerung sich als folkloristische Staffage vorführen lassenmusste, was den Furor des futuristischen Chefideologen Filippo Tommaso Marinetti vielleicht rechtfertigt. Später und bis heute sind dann auch andere Regionen der Erde in die Reichweite dieser versuchten Stillstellung der Alltagswelt geraten, deren Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten aber selbst dem ungebildeten Touristen schnell offenkundig werden.

 

Erbstau

War mit Lübbe gerade erst eine neue Perspektive in die Historiographie des Museumswesens eingebracht worden, so traf die Kompensationsthese aber auch schon auf Widerspruch: Man warf ihr vor, sie betrachte die Zerstörungsprozesse der Moderne als Schicksal und das Museum als eine Art Auffangstation, in der aus Müll Sinn generiert werden solle. Diese Kritik an der Verdinglichung der Erinnerung vertiefte Gottfried Fliedl 1993 mit seiner prägnanten Betrachtung Das Museum als Haus −Die Welt als Museum. Dort verlieh er der Metapher eine noch radikalere Note, wenn er sie als »das Platzen des Museums« pointiert; im Inneren sieht er das Museum dagegen vom »Erbstau« bedroht, von der wachsenden Zahl von Gegenständen, die es in Empfang zu nehmen hat, aber kaum noch aufzunehmen vermag, weswegen es seinen wissenschaftlichen Gründungsaufgaben nicht mehr nachkommen kann, beständig wächst und endlos Ableger bildet (rhizomartig, wie man in den achtziger Jahren noch unfehlbar diskursiert und in subversiver Perspektive vermutlich positiv ausgelegt hätte). Die Museumsmitarbeiter, vor allem die pädagogischen, an die sich Fliedls Ausführungen wandten, würden darüber − eine in der Tat schöne Pointe − zu »Erbstauhelfern und Besichtigungsministranten«. Statt der Grenzen des Wachstums waren nunmehr die des Bewahrens ins Blickfeld geraten.

Sind diese Grenzen inzwischen erreicht? Museum und Denkmalschutz lassen sich als Rehabilitierung des Vorhandenen gegen den Innovationsdruck der Moderne verstehen und ihre gemeinsame Aufgabe als dessen Rettung, um es mit einem Begriff der Geschichtsphilosophie Walter Benjamins zu formulieren, der inzwischen auch an Prominenz eingebüßt hat. Weiterhin ist ihnen gemeinsam, dass sie immer nur zu kurz greifen können, also das Ausschnitthafte jeder Rettung: Das Museum kann nicht alles sammeln, was als veraltet ausgeschieden wird, und die Agenten des Denkmalschutzes schaffen nur, was man im kriegszerstörten (und erst recht nachkriegszerstörten) Braunschweig im Jargon eines um Worte nie verlegenen Städtemarketings vor Jahren als »Traditionsinseln« etikettierte.

Wenn der Denkmalschutz außerhalb der Museen konservierende Kraft entfaltet, dann eben nicht, indem er die Welt in ein Museum verwandelt, sondern durch die Ausgrenzung von Zonen, in denen dann strenge Gesetze der Konservierung herrschen, während rundherum das Leben weitergeht und damit Zerstörung und Verfall als die letztlich geschichtsmächtigsten Kräfte. Kompensation kann ihren Anlass eben nie aus der Welt schaffen, sondern sich nur nebenan, manchmal auch nur nebenbei, etablieren und allenfalls stellenweise behaupten: als Verinselungsphänomen. Das gilt erst recht für die Schnittmenge aus Museum und Denkmalschutz, für das Freilichtmuseum.

In ihrer verinselten Existenz sind sich Museum und Denkmalschutz ähnlich, und gerade daher wird die Welt nie ein Museum werden, sondern sie allenfalls ausgegrenzt einschließen. Diese museale Strategie wird jedoch unter dem Stichwort »Weltkulturerbe« längst global propagiert. Allerdings ist das Museum nicht die für eine partielle Stillstellung der Zeit im Außenraum zuständige Institution, auch nicht das Modell, denn der Denkmalschutz folgt nicht einmal den beiden Grundprinzipien museumsinterner Arbeit: Im Museum werden, was Krzysztof Pomian wohl als Erster angesprochen hat, sowohl der Tauschwert wie der Gebrauchswert der Dinge aufgehoben, tendenziell für immer; im Denkmalschutz wird dagegen der Tauschwert nur beeinträchtigt − das ist als Spekulationserschwerung für Makler und Investoren einst sein Sinn gewesen, aber auch dieser kultursozialistische Gedanke hat sich in der Kritik der Musealisierung verflüchtigt. Der Gebrauchswert bleibt dagegen weitgehend erhalten − und das sogar relativ flexibel: Ob sich in einem denkmalgeschützten Haus eine Werbeagentur ansiedelt, ein Universitätsinstitut, eine Bankfiliale oder eine Wohngemeinschaft, das ist sozusagen kompensationsneutral.

Anders als der Denkmalschutz, der sich in die Alltagswelt einmischt, lebt Das Museum ohnehin von der Distanz: Es etabliert eine (manchmal nur knappe und inzwischen immer knapper werdende) Zeitdifferenz zwischen seinen Beständen und seinen Kandidaten, aber eine große und geradezu demonstrative Differenz zum aktuellen Alltagsleben außerhalb seiner Mauern. Damit verkörpert es jene »Alterität«, die Hans Belting in seinem Essay Das Museum (Merkur, Nr. 640, August 2002) als konstitutiv für diese Institution angesehen hat, denn sie lebt von der Selbstausgrenzung aus dem Alltag, oder, wie man mit Wilhelm Dilthey zu sagen pflegt, aus der »Lebenswelt«, während der Denkmalschutz auf die moderne Anbindung seiner Traditionsinseln achten muss.

 

Melancholie

Die metaphorische Angelegenheit wurde allerdings noch einmal kompliziert, als Peter Sloterdijk in seinem Essay Museum: Schule des Befremdens (FAZ-Magazin, 17. März 1989) der Metapher eine besondere Wendung gab, indem er sie zur Charakterisierung eines plötzlichen Weltfremdheitsanfalles benutzte: »Die Welt erscheint wie ein Film, bei dem die Tonspur, die Sinnspur abgeschaltet ist, so dass von ihr nichts übrigbleibt als das undurchdringliche und marktschreierische Gewimmel der Tatsachen, die von einem lächerlichen Anspruch auf Vorhandensein durchdrungen scheinen … Wenn nach der absurden Pause die Sprache zurückkehrt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass über einen solchen Zustand gesagt wird, die Welt habe ausgesehen, als sei sie im ganzen museal geworden … In den Ekstasen der Langeweile, des Sinnlosigkeitsgefühls und des Überdrusses wird die Welt selbst zur Weltausstellung − alles Bekannte und Sichtbare scheint wie in ein Weltmuseum versetzt, von dem wir uns nicht erinnern können, es betreten zu haben.«

Es ist bestechend, wie präzise und geradezu wörtlich Sloterdijk hier die Erfahrung der Melancholie getroffen hat, die in der Geschichte der Literatur und der Kunst − statistisch wie ästhetisch gesehen − nicht gerade unterrepräsentiert ist und daher jedem, der sie erneut gestalten will, ein hohes Maß an Originalität abverlangt. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob Sloterdijk das Museum zu Recht als Metapher zur Schilderung seines Weltfremdheitsanfalles heranzieht − ob das Bild von der »Welt als Museum« tatsächlich so belastbar ist, dass es der Melancholie als Stichwort dienen kann, oder ob es dabei gleichsam als Institution falsch zitiert wird. Man könnte ja einwenden, dass das Museum von Beginn an, also schon vor seiner Ausformung als öffentlicher Institution, eine Einrichtung der Sinngebung war und damit ein, wenn nicht der Gegenspieler der Melancholie gewesen ist. Die herkömmliche Museumserfahrung ist jedenfalls die einer vorgegebenen Interpretation der Dinge: Mit seinen geistigen Gehhilfen der Objektbeschriftung, des Kataloges, der Führung oder des Kopfhörers operiert das öffentliche Museum heute sogar mehr denn je als eine sinnstiftende Institution, auch wenn über den Erfolg und die Hilfsmittel seiner Maßnahmen die Meinungen natürlich auseinandergehen.

 

 

Als Institution der Sinnstiftung ließe sich das Museum jedenfalls kaum heranziehen, um den Zustand einer Weltentfremdung zu veranschaulichen, die maßgeblich als Sinnverlust erfahren wird. Wenn man also die Welt als melancholisches Museum ausgeben will, dann könnte es sich nur um eines handeln, in dem man vergessen hat, einen handlichen Führer zu verfassen oder Kopfhörer bereitzustellen, es also, um mit Sloterdijk zu reden, unterlassenhat, eine »Sinnspur« anzulegen, die nun fehlt wie im Film die Tonspur. Ist das Museum letztlich untauglich, um als Metapher für eine Welt zu dienen, aus der es sich beharrlich ausgrenzt, so geht das poetologisch natürlich in Ordnung, denn es ist ja gerade die Alterität der Elemente, welche die Metapher funkeln lässt, jener Rest von Unvereinbarkeit, von dem schon die Alltagsweisheit mit dem Spruch zu berichten weiß, dass eben jeder Vergleich hinkt.

Was freilich nicht ausschließt, dass das Museum auch dem Melancholiker einiges zu geben hat. Denn es ist eine Institution auf der Grenze des Verlustes und der Vergänglichkeit, und damit für diese existentielle Verstimmung höchst qualifiziert. Es ist jedoch, wenn das Paradox erlaubt ist, ein Ort der heiteren Melancholie, denn hier begegnen wir dem Vergänglichen ausnahmsweise in Form der Nachhaltigkeit, hier wird das sonst nur Greifbare begreifbar gemacht, das Ererbte in der Anschauung halbwegs gerecht geteilt und das ansonsten überwiegend Verlorene in sinnlicher Gestalt gegenwärtig; das ist mehr, als alle Kulturen der Welt zuwege gebracht haben, denen die Moderne ihre Museen gewidmet hat − und denen sie genau darin überlegen ist.

Daher erstaunt der skeptische Zug, den das Thema um den Beginn der neunziger Jahre angenommen hat, als man das Museum insgesamt in Frage stellte, also den Sinn seiner Sinnstiftungen. Man wäre versucht, dieses Gefühl des Überdrusses einer saturierten Postmoderne zuzurechnen, aber es artikulierte sich schon am Beginn der radikalen Moderne. Bereits die Futuristen hatten ja, in ihrer operettenhaft aufgekratzten Kritik am Beharrungsvermögen des Historischen, versucht, das Kind mit dem Bad auszugießen und gleich auch noch die Wanne hinterherzuwerfen. Paul Valéry argumentierte dann wenig später zwar für die erhaltenswerten Objekte, die er allerdings in der versammelten Vielzahl des Museums untergehen sah. So ist ein museumsskeptischer Akzent charakteristisch geblieben für die in dieser Hinsicht falsche Selbstdarstellung der fleißig museumsgründenden Moderne.

Postmodern erschien die neue Museumsmelancholie eher darin, dass sie einem verschleppten Dilemma der Moderne auf die Schliche gekommen war: Mit ihrer genuinen Kompensationsgeste war die Moderne längst in eine selbstgestellte Falle geraten − in die eines an jede Sinngrenze stoßenden Überflusses der Museumsbestände sowie an die Grenzen der Historisierbarkeit der Lebenswelt in Schutzzonen. Zwar hatte der Massentourismus als eine übergreifende Kulturpraxis beiden Spielarten der Musealisierung einen neuen, nämlich ökonomischen Sinn gegeben, aber das machte für manchen Kulturanthropologen die neuen Massenkulte der Besichtigung als Kommerzialisierung erst recht fragwürdig.

Wenn sich aber ein Missverständnis wie das von der »Welt als Museum« so lange hält, muss man auch danach fragen, ob ein legitimes Anliegen nur irreführend vorgetragen wird. So darf man im Salonvandalismus der Futuristen wie in der institutionsschonenden Wendung, die Fliedl dem Thema mit dem Schlusssatz »Raus aus dem Museum!« gab, einen durchaus plausiblen Verdacht gegen das Museum vermuten: Sobald man die Kultur einer Gesellschaft als das lebensnotwendige Medium ihrer Selbstverständigung über Veränderungen ihrer Lebenswelt begreift − zumal über problematische von historischem Ausmaß −, gerät der bildungsselige Museumsrückblick in den Verdacht des Eskapismus, einer Lähmung der gesellschaftlichen Selbstwahrnehmung.

Ob bereits die Museen des Historismus einer solchen Ablenkung der Aufmerksamkeit von den Problemen der Gegenwart Vorschub geleistet haben, wäre freilich erst noch zu zeigen und zudem gegen die Vermutung zu vertreten, dass es gerade ihre museale Hinwendung zur Vergangenheit war, in der sich die Moderne Rechenschaft darüber abzulegen begann, wie hoch der Preis der Industrialisierung und des allgemeinen Innovationstempos sein würde − auch wenn es ihre Besucher noch nicht so gesehen haben sollten. Erst recht entbehrt heute jeder Argwohn der Grundlage, man könnte sich in den Museen von Veränderungen der Lebenswelt ablenken lassen, welch Letztere darüber unbegriffen bleiben müssten. Er ist angesichts der modernen Medienkonkurrenz, in der das Museum steht, überhaupt nicht mehr plausibel − und war es übrigens schon zu Zeiten der Futuristen nicht: Anders als Luthers Thesen, die noch am Kirchentor angeschlagen werden mussten, also an der inkriminierten Institution selbst, um ihre öffentliche Wirkung zu finden, hing das museumsfeindliche Manifest der Futuristen nicht an Museumstoren, sondern stand schon in der Zeitung; als Medium der gesellschaftlichen Selbstverständigung über Veränderungen der Lebenswelt hatte das Museum längst Konkurrenz bekommen, nur deshalb konnten die Futuristen es so spektakulär verabschieden.

 

Weltmetaphern

Sloterdijks Vereinnahmung des Museums für seine suggestive Metaphernkaskade und die Prominenz dieser Metapher überhaupt bauen nicht nur auf eine poetische Aufhebung der Alterität, sondern nutzen auch jene Verführungskraft, mit der klassische Weltmetaphern funktionieren. Für diese ist die Vorstellung von der »Welt als Buch« vermutlich die älteste und faszinierendste, der Hans Blumenberg in seinem Buch über Die Lesbarkeit der Welt 1981 sozusagen die Leviten gelesen hat.

In seiner Rolle als Pars pro toto ist das Buch freilich nicht singulär geblieben; zuletzt hatte sich die gigantische Rechenmaschine empfohlen, deren (Mit)Erfinder Konrad Zuse vor vierzig Jahren auch schon der Erste gewesen sein soll, der die Metapher von der »Welt als Computer« prägte. Literarisch hat dieser Vorstellung Douglas Adams mit seinem multimedialen Produkt The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy (Buchfassung 1979, Deutsch Per Anhalter durch die Galaxis, 1981) eine originelle Geltung verschafft: Diesem Hörspiel-Roman-Film zufolge ist die Erde als ein Computer geschaffen worden, der eine überaus präzise Antwort auf eine weltbewegende Frage gibt, die aber leider in Vergessenheit geriet, womit die Antwort sinnlos wurde. Eher altmodisch nimmt sich dagegen die Vorstellung von der »Welt als Uhr« aus, die sich aus der Regelmäßigkeit des kosmischen und irdischen Geschehens herleitete und, als Emblem neuzeitlichen Denkens, in regelrechten Weltuhrwerken realisiert hat. Sie ist die sozusagen feinmechanische Variante einer allgemeineren Vorstellung, die in der Welt einen sich gesetzmäßig selber regulierenden Apparat und damit, in einer übergreifenden Tradition, die »Welt als Maschine« sieht.

Leiden die Metaphern von der Welt als Maschine und der Welt als Uhr daran, dass sie dem Sozialen keinen Raumgeben, so hat eine andere, noch heute sehr beliebte Metapher diesen Mangel mehr als ausgeglichen, William Shakespeares berühmte Gleichsetzung aus Was ihr wollt, in der die ganze Welt als Bühne erscheint, womit er einen Gedanken aus dem populären Lob der Torheit des Erasmus von Rotterdam aufgegriffen und der Soziologie eine bis heute methodisch ergiebige Metapher für ihre Rollentheorie geliefert hat. Schließlich hat Gustav René Hocke 1957 mit dem Titel seines berühmten Buches über den Manierismus, Die Welt als Labyrinth, eine Vorstellung aufgegriffen, die es − vielleicht mehr als die von der Welt als Museum – verdienen würde, der Melancholie als Emblem zu dienen. Mit der Welt als Buch, als Uhr, als Maschine, als Bühne, als Labyrinth und schließlich als Computer sind, in chronologischer Reihenfolge, sechs der bedeutenden Metaphern genannt, die in unserer Kultur zur Veranschaulichung des komplexen und komplizierter werdenden Weltgeschehens dienten. So fungieren sie als Bezugsrahmen, durch den man die Welt betrachtet, was ja auch wiederum nur eine Metapher ist und die von Blumenberg behauptete Unausweichlichkeit dieser Denkfigur ein weiteres Mal bekräftigt.

Ausgeblendet sind dabei all die geographischen Varianten, welche die Welt als Scheibe, Kugel, Birne oder Sphäre zu verstehen versuchen, und jüngere Versuche, wie etwa der, die Welt als Supermarkt auszugeben, womit Michel Houellebecq aufwartete, oder die Welt als T-Shirt zu betrachten, wie der Titel eines Buches von Beat Wyss Zur Ästhetik und Geschichte der Medien vorschlägt, was nicht weniger rätselhaft klingt als eine Formulierung, die einst Günther Anders zum gleichen Thema verwendet hat: Die Welt als Phantom und Matrize. Noch rätselhafter freilich ist die Formulierung von Hans-Peter Dürr, der einem Vortrag über Naturwissenschaft und Mystik den Titel Die Welt als Wollknäuel in der Hosentasche gab − der Kernphysiker Dürr, wohlgemerkt, nicht der Ethnologe Hans Peter Duerr.

Ähnlich gelagerte Varianten solcher Weltmetaphern sind das »globale Dorf«, in dem Marshall McLuhan zu leben glaubte, weil er als Städter keine Ahnung hatte, wie ein Dorf funktioniert; das »Raumschiff Erde«, mit dem Buckminster Fuller einst gekonnt Aeronautik und Globalbewusstsein überblendete, oder der Weltinnenraum des Kapitals im wiederum »sphärischen« Zugriff Sloterdijks. Den bedeutenderen Metaphern ist gemeinsam, dass pars pro toto der jeweils letzte Stand der Dinge − Buch, Maschine, Uhr, Bühne, Raumschiff oder Computer, also bereits relativ komplexe Produkte − dazu dienen sollte, metaphorisch die noch höhere Komplexität der Welt zu vertreten und anschaulich werden zu lassen, indem man sie auf die Dimensionen einzelner Produkte oder Instanzen der Lebenswelt herunterzubrechen und im Sinne der Systemtheorie von Niklas Luhmann zu reduzieren versuchte. Diese Metaphern funktionieren, solange man ihren spielerischen Charakter im Blick behält, und unter ihnen erweist sich die von der Welt als Museum als die womöglich jüngste, zugleich aber auch als eine eher erfolglose; insgesamt lässt sich nur eine Handvoll exponierter Belege ausmachen. Ernst Robert Curtius, dem wir den Topos vom Topos verdanken, hätte vermutlich in Frage gestellt, ob das überhaupt für einen ordentlichen Topos reicht. Um die Metapher ist es jedenfalls stiller geworden; sie hat sich nicht etabliert, aus guten Gründen.

 

Fotografie

Man kann letztlich nur eine Beziehung erkennen, in der die Rede von der »Welt als Museum« rundherum als zutreffend erscheint, und das ist die Fotografie. Spätestens seit den Paris-Fotografien von Eugène Atget gibt es die Welt tatsächlich als Museum, nämlich in der chemisch festgehaltenen Starre eines Augenblicks, der prinzipiell auf jedes Ensemble fallen kann, das sich anschließend verändern mag, so viel es will − im Moment der Fotografie wird es für lange Zeit konserviert wie unter einem visuellen Denkmalschutz. Wenn Norbert Kricke in den Tableaux pièges von Daniel Spoerri einst die Erfindung einer dreidimensionalen Fotografie bewundert hat, dann kann man im Denkmalschutz entsprechend die dreidimensionale Version der Architekturfotografie erkennen, die ja oft genug die einzige Quelle darstellt (wobei im Denkmalschutz freilich eher die neohistoristische Collage überwiegt). Ich stimme daher der These von Susan Sontag nicht zu, wer Fotografien sammele, sammele die Welt, denn schon wer fotografiert, sammelt die Welt. Dafür kann, auch wenn es anders benannt war, das Projekt »Archiv des Planeten« als Musterbeispiel gelten, das aus der 1898 von Albert Kahn gegründeten Stiftung »Bourses Autour du Monde« hervorgegangen ist. Diesem Projekt, für das Kahn zu Beginn des 20. Jahrhunderts Fotografen um die Welt reisen ließ, hat die BBC eine eindrucksvolle Fernsehserie gewidmet, die kürzlich auf arte zu sehen war; zu ihr ist das von David Okuefuna herausgegebene Buch The Wonderful World of Albert Kahn. Colour Photographs from a Lost Age erschienen.

Auch die fotografische Welterfassung geschieht freilich, wie im Denkmalschutz, insulär, aber extensiv und in verschiedenen Sichtweisen, unter denen sich Eugène Atget am Pittoresken orientierte (das Benjamin dazu verführte, Baudelaire sozusagen durch Atgets Brille zu lesen), Bernd und Hilla Becher am Dokumentarischen, das gleichwohl eine eigene Ästhetik entwickelte, und die »street photography« am Beiläufigen, das freilich manchmal die stärkste Erinnerungskraft evoziert. Stets aber wird die Welt unter der Hand des Fotografen zum Papiermuseum, neuerdings eben auch auf dem Bildschirm. Die Filmleinwand war ohnehin schon früh ein Ort, an dem visuelle Musealisierungsprozesse zu finden waren. Darauf hat Birgit Flos mit dem Hinweis aufmerksam gemacht, dass ein Film »urbane Territorien zu Stadtmuseen« werden lassen kann, wenn er außerhalb von Kulissen oder Studios mitten in lebendigen Städten gedreht wird, die sich anschließend schnell und gründlich veränderten und den Film darüber zum musealen Medium werden lassen, zur versiegelten Zeit, um die gelungene Metapher des Filmregisseurs Andrej Tarkowski zu zitieren − man denke nur an das Wien in Carol Reeds Der dritte Mann, an das Berlin und Rom in den Nachkriegsfilmen Roberto Rossellinis oder an das beiläufige Auftauchen der Twin Towers in vor 2001 entstandenen New-York-Filmen.

Noch in einer weiteren, viel tiefer greifenden Art steht die Fotografie in Beziehung zum Museum, weil sie − seit der Pionierarbeit von André Malraux − die Institution gleichsam unterlaufen hat, um mit einem »imaginären Museum« ein Museum ohne Wände zu etablieren, das freilich nicht die Welt als Museum ausgeben möchte, sondern das Museum nur in ein anderes Medium übersetzt, in das Buch − und inzwischen sogar in recht viele Bücher. Diese »Entgrenzung des Museums« ist keine metaphorische, sondern eine mediale, und gehört daher, trotz ihrer enormen Bedeutung für das Geschäft des Museums, nur am Rande zum Thema. Allerdings sollte Malraux vielleicht einmal wieder zum Thema werden, denn weder ist in Erinnerung, wie sozusagen mäandrierend sich sein Thema entwickelt und über verschiedene Buchausgaben verändert hat, noch ist die durchaus kritische Rezeption präsent, die es anfangs in Frankreich erfuhr und von der das jüngst auf Deutsch erschienene Buch Museumskrankheit eine Ahnung gibt, das zwei Essays von Maurice Blanchot aus den fünfziger Jahren enthält.

Freilich gibt es unter den vielen Fotos von Museumsobjekten, die ihren Weg in ein Buch gefunden haben, auch Fotos (und zum Glück auch Filme) davon, wie diese Objekte einst arrangiert worden sind, und die wachsende Beliebtheit solcher Installationsaufnahmen geben auch dem Thema der Alterität des Museums eine ganz neue Wendung: Wie die Fotografie die Welt in verschiedenen Bildsprachen dokumentiert hat − in der des Pittoresken wie der des Dämonischen, Surrealen oder Sachlichen −, so haben Museen (und dafür sind Installationsaufnahmen manchmal recht verwunderliche Zeugnisse) ihre Objekte in verschiedenen Zusammenhängen und unterschiedlichem Mobiliar gezeigt.

Damit ereilt das Thema der Alterität das Museum als gleichsam internes Motiv, und das nicht nur in der historischen Installationsfotografie, sondern etwa auch in dem aktuellen Plan, im Wiener Kunsthistorischen Museum jenen Kontext der Kunst- und Wunderkammer wieder erstehen zu lassen, aus dem zahllose Exponate entweder im modernen Ausstellungskontext des Museums aufgegangen oder im Depot untergegangen waren. Damit geht die Erkenntnis einher, dass es auch eine interne Musealisierung geben kann, nämlich die des Museums selber, das auf Stufen seiner eigenen Genese zurückkehrt − sei es in ausgestellten Installationsfotografien oder historisierenden Installationen. Sie beweisen nebenbei, dass nicht einmal im Museum die Zeit wirklich stillsteht, womit eine weitere Voraussetzung seiner Metaphorisierbarkeit entfiele. Unter dem Zeitraffer einer nur hundertjährigen Betrachtung wäre nicht nur an den Wänden, nicht nur in Inventar und Mobiliar, sondern auch und gerade im internen Verkehr mit dem Depot in den meisten Häusern eine Unruhe auszumachen, die den Eindruck einer Stillstellung der Zeit widerlegte.