Heft 845, Oktober 2019

Ästhetikkolumne

Ästhetische Qualität von Jan Brevern

Ästhetische Qualität

Etwas ratlos stehen wir in der Kantine des Paul-Löbe-Hauses im Berliner Regierungsviertel. Wir, das sind eine Gruppe Studenten und ihr Dozent, Teilnehmer eines kunsthistorischen Seminars zum Thema »Orte der Kunst«, zu Besuch in der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung und Leiter des Referats »Kunst im Deutschen Bundestag«, hat uns durch die Gebäude geführt. Allein im Bereich »Kunst am Bau« gibt es hier Werke von über hundert Künstlern zu besichtigen; mehr als viertausend Objekte enthält zudem die ständig wachsende Artothek, aus der sich Abgeordnete Werke für ihre Büros ausleihen können.

Wir sind an einem LED-Laufband von Jenny Holzer, zwei Neonwandskulpturen von Neo Rauch, einigen Nagelbildern von Günther Uecker und einer großen Wand korrodierter Blechkisten von Christian Boltanski vorbeigelaufen. Alles sehr solide und dem ähnlich, was man auch in zahlreichen Museen für zeitgenössische Kunst zwischen Denver und Düsseldorf präsentiert bekommt. Was die Studenten während des Rundgangs besonders interessierte: die Auswahlkriterien, nach denen Kunst für den Bundestag angekauft wird. Seit 1995 entscheidet darüber ein eigenes Gremium, der Kunstbeirat, dessen Vorsitz der jeweilige Bundestagspräsident innehat und dessen Entscheidungen im Regelfall nicht der weiteren Zustimmung des Parlaments bedürfen. Aber wie wird entschieden? Letztlich, erläuterte uns Kaernbach, zähle ausschließlich die »ästhetische Qualität« der Werke.

Und nun befinden wir uns in der Kantine, ausgestattet vom kubanischen Künstler Jorge Pardo. Von der Decke hängen spacige Lampen mit bunten Plastikschirmen, die Holzstühle und -tische – ebenfalls Entwürfe des Künstlers – sind mit geschwungenen Intarsien versehen. Der Tagesspiegel hatte dem zuweilen liebevoll »Lampenladen« genannten Raum schon mal eine Atmosphäre »wie im schwedischen Möbelkaufhaus« bescheinigt. Frage an den Kurator: Ob die Restaurantbesucher denn merken würden, dass sie hier nicht einfach in einer flott designten Inneneinrichtung speisten, sondern in einem Kunstwerk, zumal einem ästhetisch besonders wertvollen? Kurzes Zögern. Dann: »Ja. Gute Kunst erkennt man.«

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