Heft 853, Juni 2020

Der absolute Geist, die Cholera und die Himmelfahrt des Philosophen

Hegels Tod und Bestattung (1831) von Karl Heinz Götze

Hegels Tod und Bestattung (1831)

Hegel starb am Montag, dem 14. November 1831, in seiner Wohnung am Berliner Kupfergraben. Der Tod kam überraschend. Am Freitag zuvor hatte er mit den Vorlesungen des Wintersemesters über Rechtsphilosophie und Geschichte der Philosophie begonnen, am Samstag Prüfungen abgehalten. Am Sonntag zeigten sich die ersten Symptome der Krankheit, der er nach einer unruhigen Nacht am nächsten Tag gegen 17 Uhr erliegen sollte. Am 16. November wurde er seinem Wunsch entsprechend auf dem evangelischen Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhof neben seinen Vorgängern Solger und Fichte begraben. Zahlreiche Equipagen und ein unabsehbar langer Zug der Studenten gaben ihm das letzte Geleit.

Hegels Wohnhaus am Kupfergraben 4a existiert heute nicht mehr. Das Haus nebenan, die Nr. 5, wo eine Plakette an ihn erinnert, beherbergt heute das Musikwissenschaftliche Institut der Humboldt-Universität, in der Nr. 6 liegt die Privatwohnung von Angela Merkel. Der Kupfergraben verläuft am westlichen Ufer der Museumsinsel, dem Eingang des meistbesuchten deutschen Museums, dem Pergamon-Museum, unmittelbar gegenüber. Das gab es 1831 noch nicht. Die Umgestaltung der Insel zu einer Museumslandschaft durch Schinkel hatte 1830 gerade mit der Eröffnung des Alten Museums am Lustgarten begonnen. Vor seiner Haustür war viel Umbruch in der Zeit, als Hegel starb.

Die Friedrich-Wilhelms-Universität, wie die heutige Humboldt-Universität bis 1945 hieß, 1809 gegründet, war kaum zwanzig Jahre alt. Der Hörsaal 8 im ehemaligen Prinz-Heinrich-Palais, wo Hegel seit 1819 seine Vorlesungen hielt, lag nur ein paar Meter vom Wohnhaus entfernt. Dort in der Aula las der Rektor seine Totenrede. Von der Universität über das Wohnhaus bis zum »Kirchhof« an der Chausseestraße sind es gut eineinhalb Kilometer. Es hat wohl nicht einmal die Geheimpolizei diejenigen gezählt, die dem Sarg folgten, aber Übereinstimmung herrscht, dass sie nach vielen Hunderten zählten, darunter sehr zahlreich die Studenten. Davon gab es in Berlin 1830/31 genau 1787. Zählt man die Nichtimmatrikulierten dazu, waren es 2148. Ganz anders als heute das Verhältnis der traditionellen vier Fakultäten: Die meisten Studenten waren künftige Theologen (611) und Juristen (633), während die Medizin nur 302, die philologische Fakultät sogar nur 241 Studenten aufwies.

Auf der Höhe seines Ruhms

Als Hegel starb, war er, wie Varnhagen schrieb, »auf der Höhe seines Ruhms und seiner Wirksamkeit«.1 Das darf man sich freilich nicht nur glänzend vorstellen. Wie so häufig in Deutschland überlagern sich in seiner Biografie höchster Gedankenflug und bescheidene Lebensumstände, Großartiges und Prekäres. Die Studienjahre im Tübinger Stift, die Zimmergenossenschaft mit Schelling und Hölderlin, die gemeinsame Begeisterung für die ersten Jahre der Französischen Revolution bilden Höhepunkte der Erzählung vom deutschen Geist um 1800, waren aber zugleich bittere Jahre der Unfreiheit und Einschränkung.

Die Karriere, die dem württembergischen Beamtensohn offenstand, war die des Hauslehrers, zunächst in der Schweiz, dann in Frankfurt am Main. Ein kleines Erbe eröffnete ihm den Beginn der Universitätslaufbahn in Jena, wo er promovierte und 1805 zum Professor ernannt wurde. Es folgten Jahre als Chefredakteur der Bamberger Zeitung (1807/1808), die Nürnberger Jahre als Gymnasialrektor (1808–1816) und die Professur für Philosophie in Heidelberg (1816–1818). 1818 bekam er den Ruf auf den verwaisten Lehrstuhl Fichtes an der Berliner Universität. Kultusminister Altenstein betrieb gegen vielfältigen Widerstand Hegels Berufung. Er wusste ihn als Anhänger und theoretischen Vordenker der konstitutionellen Monarchie Preußens und stützte ihn bis zu dessen Tod.

Unumstritten war Hegel trotz der Unterstützung durch das zuständige Ministerium nicht, weder am Hof noch bei den Kollegen. Altenstein vermochte nicht, ihn, wie in der Berufungsvereinbarung angedeutet, zum Präsidenten der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu berufen. Er fand nicht einmal als einfaches Mitglied Eingang. Schleiermacher war davor. Die theologische Fakultät wurde von Schleiermacher dominiert, die juristische von Savigny, die beide Hegel feindlich gegenüberstanden. Anders als Kollegen, deren Namen längst vergessen sind, wurde Hegel auch nicht zum Geheimrat ernannt. Der »Rote Adlerorden 3. Klasse«, den Hegel in seinem Todesjahr erhielt, war, was alle wussten, für einen erstklassigen Philosophen nicht mehr als ein Trostpreis vom geringem symbolischen Wert.2

Wohlhabend wurde man als Ordentlicher Professor eines sparsamen Staates auch nicht. Hegels Familie – seine Frau Marie von Tucher, seine Söhne Karl und Immanuel und der übel behandelte uneheliche Sohn Ludwig, der im Todesjahr des Vaters gleichfalls starb – litt vielfach unter ungesicherten finanziellen Verhältnissen, die Mitgift der Gattin wurde aufgebraucht, und Erbe blieb keines: »M. Hegel est mort sans fortune et sans dettes; il avait à peu près 14 000 francs de traitement par an, qu’il a toujours mangé.«

Sicher, das intellektuelle Berlin kannte Hegel, zumindest seinen Ruf. Aber das bedeutete keineswegs, dass die deutsche akademische Kathederphilosophie der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts durchweg hegelianisch geprägt gewesen wäre. Heinrich Laube erzählt, wie einer der Berliner Studenten Hegels im Seminar der Universität Halle dessen Philosophie zu erläutern versuchte und ob seiner kuriosen Terminologie ausgelacht wurde. Schelling in München verstand sehr wohl, was der ehemalige Gefährte lehrte, wollte aber die Philosophie sehr anders gegründet sehen.

Im Ausland herrschte häufig Unkenntnis, jedenfalls Unverständnis. In Frankreich hatte Hegel mit seinem Freund Victor Cousin zwar einen treuen Gefolgsmann, aber es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, bis zu Alexandre Kojève, bis er wirklich eine wichtige Rolle im französischen Denken spielte. In England begann Hegels Name erst nach seinem Tod bekannt zu werden. In der Times kam er 1938 zum ersten Mal vor, eher am Rande, aber doch mit dem Hinweis, dass Hegels »Ideen überall in Europa auf Zustimmung zu stoßen beginnen« (Times vom 24. Dezember 1938).

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