Heft 892, September 2023

Der Preis für Krypto

von Trevor Jackson

Nichts von alledem hätte passieren müssen. Als im Herbst 2008 die internationale Finanzordnung zusammenbrach, schlug eine anonyme Einzelperson – oder vielleicht auch eine Gruppe –, die unter dem Namen Satoshi Nakamoto schrieb, ein neues elektronisches Bargeldsystem vor, das sie Bitcoin nannte. Das »white paper«, in dem das System vorgestellt wurde, zirkulierte zunächst in einer Mailingliste zum Thema Kryptografie. Nakamoto behauptete darin, dass Bitcoin es ermöglichen würde, »Online-Zahlungen direkt von einer Partei an eine andere zu senden, ohne dass eine Finanzinstitution dazwischengeschaltet werden muss«. Um das Problem zu umgehen, dass Nutzer dasselbe immaterielle Geld zweimal ausgeben, schlug Nakamoto etwas vor, das er »verteilter Zeitstempel-Server« nannte, heute als »Blockchain« bekannt ist und bei dem es sich um eine Art digitales Kassenbuch handelt. Wann immer jemand eine Zahlung vornimmt, wird diese im Kassenbuch verzeichnet, das so zum permanenten, offenen, transparenten Aufzeichnungsort für alle Zahlungen wird. Anders als bei Banken gäbe es keinen Zentralspeicher, keine autoritative Kopie des Kassenbuchs. Stattdessen würde jede Teilnehmerin eine eigene Kopie auf ihrem Rechner haben.

Bei jeder Transaktion würden die Teilnehmer sich eilig an die schwierigen Rechenprobleme machen, die das System lösen muss, um den Vorgang gegenüber allen vorangehenden Transaktionen im Kassenbuch zu verifizieren. Derjenige, dem diese Verifikation als Erstem gelingt, würde dann neue Bitcoins erhalten. Dieses System nennt sich »proof of work« (»Leistungsnachweis«). Auf diese Weise werden nach und nach neue Bitcoins geschaffen oder »geschürft«, bis ein Limit erreicht ist, das die immer aufwändigeren Berechnungen zur Verifikation der Transaktionskette vorgeben – irgendwann würde die Produktion neuer Bitcoins gegen Null gehen, was die Möglichkeit einer Inflation ausschlösse. Weil es keine zentralisierte Instanz gäbe, gäbe es auch keine Bank, die zusammenbrechen könnte – und keinen CEO, den man zur Rechenschaft ziehen könnte. Und so ist aus den Ruinen des Jahres 2008 die Krypto-Währung erstanden.

Aber Bitcoin war und ist eine Katastrophe: »Proof of work« heißt, dass jeder im Netzwerk zur Verifikation jeder einzelnen Transaktion eilte, wobei es immer nur eine Gewinnerin geben konnte. Das führte natürlich zu einer riesigen Menge verschwendeter, redundanter Anstrengungen und einem wahrhaft abstoßenden Verbrauch von Strom und Computerchips, da sich die Teilnehmer in einem Wettrüsten um immer größere und mächtigere Computer befanden. Das Netzwerk konnte nur ein paar Transaktionen pro Sekunde bewältigen – zum Vergleich: bei Firmen wie Visa sind es Tausende –, und manchmal dauerte eine einzelne Transaktion Stunden, was dazu führte, dass sich der Preis der Bitcoins, und damit der Wert der Transaktion, währenddessen veränderte.

Auch die Auszahlung und Rückkehr in den realen Geldkreislauf hat sich als sehr problematisch erwiesen: Finanzbetrugsbeamte beobachten nicht rückverfolgbare, anonyme Zahlungsvorgänge mit Argusaugen. Aus diesen Gründen war Bitcoin von begrenztem Nutzen: ein spekulatives Investment für manche, die die Preisschwankungen genau verfolgten, und ein Zahlungsmittel für Leute, die mit derart unerlaubten Dingen befasst waren, dass die langsamen Transaktionen, die Unvorhersehbarkeit und die Nichtliquidität durch die Anonymität aufgewogen wurden. Ende 2013 machte das FBI Silk Road dicht, den wichtigsten Online-Schwarzmarkt, was zur Folge hatte, dass Bitcoin-Besitzer nicht einmal mehr Drogen kaufen konnten. Da hätte es schon vorbei sein können. 

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