Die Fantasie ist ein Schlachtfeld
Elon Musk, Technofaschismus und Dungeons & Dragons von Gregory Jones-KatzElon Musk, Technofaschismus und Dungeons & Dragons
Elon Musk ist überall und tut alles. Seine führende Rolle beim E-Auto-Hersteller Tesla, bei der Raumfahrtfirma SpaceX, bei Twitter (von ihm in X umbenannt) und dem Startup xAI (das X neuerdings aufgekauft hat) sind wohlbekannt. Seit Januar 2025 kann Musk noch Senior Advisor von Trump und De-facto-Chef von DOGE in seinen Lebenslauf einfügen. Mit dem Job bekam er die furchterregende Macht, Teile der US-Regierung zu »löschen«. Und so sehr wir uns über die unverdiente ökonomische Macht und die perverse politische Präsenz Musks ärgern mögen, er selbst hat noch umfassendere Pläne für unsere Kultur.
Exemplarisch dafür steht eine Nebenbemerkung, die im November 2024 die Nachrichtenagenturen dies- und jenseits des Atlantik kolportierten. Musk sprach über den Kauf von Hasbro, dem Spielzeug- und Unterhaltungsgiganten, durch X. Der Grund: Seit 1997 ist auch das Rollenspiel Dungeons & Dragons Teil von Hasbro. Musk sieht es offenkundig als seine Mission, D&D zu »retten«, die jüngeren, auf mehr Inklusion zielenden Veränderungen des Spiels wieder zu »de-wokifizieren«. Dazu gehören Bemühungen, Minoritäten und marginalisierte Communitys in Mythos und Mechanik des Spiels besser zu repräsentieren. Natürlich war Musks Wüten völlig erwartbar. Sein Flirt mit dem Kauf von Hasbro berührt allerdings etwas Grundsätzliches daran, wie Musks technofaschistischer Kampf gegen die »Verschwendung« mit seinem Kulturkampf gegen die etablierte politische und soziale Macht und Ordnung konvergiert.
Man bräuchte eine Marathonsitzung, um die Geschichte des Aufstiegs von Dungeons & Dragons in den Mainstream zu erzählen. Bevor ich das versuche, eine Erklärung des Spiels für Uneingeweihte: Traditionell hat man D&D mit Stift und Papier auf dem Küchentisch gespielt – darum spricht man auch von »Tabletop RPG« (Roll Playing Games) oder TRPG. Die Spielerinnen und Spieler erfinden und personalisieren Charaktere – oder imaginierte Rollen – für sich und erzählen Geschichten von deren Abenteuern. Im gemeinsamen Spiel generieren sie so eine kollektive fiktionale Fantasie- und Fantasy-Welt. Es gibt dabei einen »Dungeon Master« als Schiedsrichter für die Regeln des Spiels, als »allwissenden Erzähler«, der alle NPC (also Non-Player-Character)-Figuren kontrolliert. Die D&D-Regelbücher haben viele Revisionen erlebt, deren Geschichte viel über kulturelle Veränderungen in den Vereinigten Staaten verrät. Die grundsätzlichen Spielmechanismen jedoch sind, trotz der zahllosen Editionen und Supplemente seit der Erstveröffentlichung im Jahr 1974, bemerkenswert stabil geblieben: Mit Würfeln wird der Schaden in Schlachten bestimmt; es gibt die Vorstellung, dass die Figuren in ihren Abenteuern »Erfahrungspunkte« einsammeln, die ihre Kräfte und Fähigkeiten verbessern. Natürlich gab es Copy-Cat-Spiele und Varianten – der legendäre Spieldesigner Gary Gygax, der sich das Spiel gemeinsam mit Dave Arneson in Wisconsin ausgedacht hat, hat in den Siebzigern regelmäßig mit Klagen gedroht. Trotz allem ist D&D bis heute das archetypische Fantasie-TRPG geblieben und gilt zu Recht als der Ursprung der modernen Rollenspiel-Games und als das Herz der gesamten Rollenspielindustrie.
Egal, ob nun Archetyp oder nicht, D&D galt seit seiner Entstehung als Provinz der Außenseiter und Marginalisierten, der Freaks und der Geeks. Anfangs nährte das Ängste und Kontroversen: In den 1980er Jahren war D&D schon zum Gegenstand früherer Kulturkämpfe geworden. Im Konservatismus der Reagan-Jahre wurde das Spiel zum Objekt verschobener Kalter-Kriegs-Hysterie und der Ängste angesichts der Transformation des Kapitalismus, aber auch der Familienstrukturen. Man bezichtigte es unter anderem, Satanismus und Morden Vorschub zu leisten.
Schneller Vorlauf, rund zehn Jahre später: D&D morpht sich in eine kulturelle Stellung, die für uns Nerds bis dahin nicht vorstellbar war. In einer Episode von Freaks and Geeks vom 5. Juli 2000 mit dem Titel »Discos and Dragons« – tatsächlich die letzte Folge der Kult-Serie – wird Daniel Desario, der Anführer der Freaks, gebeten, bei einer D&D-Session mitzumachen, um eine engere Verbindung zwischen den Freaks und den Geeks zu schaffen. 2016 berichtet der Guardian, der Einfluss von D&D sei »überall zu bemerken«. Nicht nur auf unseren Küchentischen und in unseren Fernsehern, sondern inzwischen auch im Kino, etwa dem Fantasy-Heist-Comedy-Film Ehre unter Dieben von 2023, in dem D&D verblüffend zentral wird. 2022 konnte die New York Times verkünden: »Alle spielen sie Dungeons & Dragons«; tatsächlich gab es 2017 so viele D&D-Spieler wie noch nie: »12 bis 15 Millionen allein in Nordamerika«. Vom Titel- und visuellen Design unzähliger Videospiele bis zu Texten berühmter Autoren und Filmstars: D&D und die von ihm geschaffenen Welten prägen den amerikanischen Charakter.
Man kann es sich leicht machen und Musks Gedankenspiele zu einem von Woke befreiten D&D damit erklären, dass er eben ein »Grognard« ist. Ursprünglich bezeichnete das ein Mitglied von Napoleons kaiserlicher Garde, einen Elitesoldaten, der sich zu wehren bereit war, wenn er glaubte, militärisch missbraucht zu werden. Aber seit den frühen Siebzigern wurde das unter Tabletop-Spielern zum Begriff für jemanden, der ältere Versionen von Spielen bevorzugt. Heute bezeichnet das Wort in TRPG-Communitys jemanden, der »ein Fan heute nicht mehr greifbarer Ausgaben eines Tabletop-Spiels ist und sich über die auch nur geringsten Änderungen in späteren Editionen bitter und wortreich beklagt«.