Fehler in der Politik?
von Franziska DaviesDer Beitrag von Ulrich K. Preuß über Fehler in der Politik, der im Juliheft des Merkur erschienen ist, lohnt eine genauere Lektüre. Die Argumentationsstrukturen und -strategien, auf denen er aufbaut, sind exemplarisch für einen ganz bestimmten Typ von Kommentaren und Diskussionsbeiträgen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine. Deren Autoren sind oft Wissenschaftler oder Intellektuelle, die bisher nicht mit eigenen Forschungsbeiträgen zu Geschichte und Gegenwart der Ukraine oder Russlands aufgefallen sind, sich nun aber meinungsstark zu Wort melden. In der Regel stehen sie der Vorstellung von einer außenpolitischen »Zeitenwende« und auch der offiziellen Entscheidung der Bundesregierung, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen, kritisch gegenüber. Stattdessen machen sie sich für »Kompromisse« und »Diplomatie« stark und sehen vor diesem Hintergrund keinen Anlass, die Angemessenheit der vormaligen Russland-Politik Deutschlands in Zweifel zu ziehen.
Preuß teilt diese Haltung, wobei ihm insbesondere die Verteidigung Frank-Walter Steinmeiers ein Anliegen ist. Dessen »zweifelsohne vernünftige Politik, von einer großen Mehrheit der Deutschen einschließlich des Establishments der Sicherheitspolitik getragen«, so Preuß, könne doch eigentlich kein Fehler gewesen sein. Das Festhalten an Nord Stream 2 und der Versuch, Russland in eine »europäische Sicherheitspolitik« einzubinden, seien zwar offensichtlich gescheitert, das Scheitern allein aber stelle noch keinen Fehler dar. Auf dieser abstrakten Ebene kann man Preuß durchaus folgen. Problematisch wird es jedoch, wenn er die Kritik an Steinmeiers Politik auf den Vorwurf reduziert, er und andere hätten auf die vielfachen Warnungen aus dem In- oder Ausland nicht gehört.
Der Fehler Steinmeiers und der deutschen Russland-Politik bestand aber nicht einfach nur darin, nicht auf kritische Stimmen gehört zu haben. Der Fehler bestand darin, dass er und andere diese kritischen Stimmen ignoriert haben, obwohl spätestens seit der Annexion der Krim unübersehbar geworden war, dass Deutschlands Russland-Politik zunehmend an der Realität vorbeiging. Doch die zahllosen und sehr konkreten Warnungen von Russland-Experten, aber auch von Politikerinnen aus Ostmitteleuropa, wurden einfach überhört. Fakt ist: Putin hat mit seiner Entscheidung zum Totalangriff im Februar 2022 keineswegs einen Politikwechsel vollzogen, es handelte sich lediglich um eine Radikalisierung der bisherigen Linie.
Dass Preuß genau wie Steinmeier die Ursache des Scheiterns der deutschen Russland-Politik noch nicht durchdrungen hat, zeigt sich darin, dass er nach wie vor die Einbindung Russlands in eine »europäische Sicherheitsarchitektur« als grundsätzlich richtig ansieht, ja sogar als das »gebotene« Ziel politischen Handelns definiert. Es ist kein Zufall, dass Preuß an dieser Stelle – wie in seinem gesamten Text – auf einer abstrakten Ebene verharrt und die zentrale Frage noch nicht einmal stellt: Wie kann man einen Staat in eine europäische Sicherheitsordnung integrieren, der das Fundament dieser Ordnung – die Souveränität europäischer Staaten und die territoriale Unverletzbarkeit ihrer Grenzen – eindeutig ablehnt, und zwar nicht erst seit dem Februar 2022.
Freilich ist damit nicht gesagt, dass eine »Zeitenwende« im Jahr 2014 den gegenwärtigen Krieg verhindert hätte. Was aber zumindest hätte minimiert werden können, ist die fatale Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas. Besonders verhängnisvoll war die hundertprozentige Übernahme der Gasspeicher des Versorgers Wintershall durch den russischen Riesen Gazprom im Jahr 2015. Genehmigt wurde die Übernahme vom Wirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel.
Dass Gazprom nicht von der kleptokratischen russischen Diktatur zu trennen ist, war schon damals ebenso bekannt wie die russische Strategie, Gas als Instrument der Außenpolitik einzusetzen. Putin und seine Entourage zielten darauf ab, Deutschland von russischen fossilen Brennstoffen abhängig zu machen und die Ukraine durch Nord Stream 2 zu schwächen. Moskau machte auch keinerlei Hehl daraus, dass die Pipeline ein antiukrainisches Projekt war.