Heft 875, April 2022

Im Dienst der guten Sache

Anmerkungen aus Anlass des Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichts von Uwe Volkmann

Anmerkungen aus Anlass des Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichts

Vorspiel

Am 20. November 2020 strahlte die ARD im Rahmen einer Themenwoche »#WieLeben« unter dem Titel Ökozid einen Film über eine fiktive Gerichtsverhandlung aus. Man schreibt darin das Jahr 2034; verhandelt wird die Klage von 31 Ländern des Globalen Südens, die vom Klimasünder Bundesrepublik Schadensersatz für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen verlangen; Ort der Szene ist der Internationale Gerichtshof, der wegen ständiger Sturmfluten kurzfristig von Den Haag nach Berlin umziehen musste. Auf dem Bild, mit dem der Film beworben wird, sieht man den Schauspieler Edgar Selge, wie er als Vorsitzender Richter der von Martina Eitner-Acheampong gespielten Angela Merkel sanft ins Gewissen redet: »Lassen sich«, so seine Frage, »tatsächlich aus den Menschenrechten Pflichten für die Staaten zum Umgang mit dem Klimawandel ableiten? Die Bundesregierung verneint dies.« Verteidigt wird sie dabei von Ulrich Tukur als arrogantem Schnösel, dem man kein Wort des Bedauerns für die Opfer glaubt, das routiniert über seine Lippen kommt. Auch Altkanzler Gerhard Schröder, erfährt man im Laufe des Films, war zur Verhandlung geladen, hat es aber vorgezogen, sich wegen seines angegriffenen Gesundheitszustands – man schreibt eben schon 2034 – in der Russischen Föderation behandeln zu lassen. Stattdessen treten dort unter anderem auf: ein Landwirt aus dem Brandenburgischen, der erzählt, wie infolge von Dürren und Waldbränden seine Rinder weggestorben sind; verschiedene Sachverständige aus der Wirtschaft, der EU-Kommission oder von Umweltverbänden; ein Anwalt aus Bangladesch, der über die Überschwemmungen in seiner Heimat informieren darf. Am Ende, es hatte sich angedeutet, wird die Bundesrepublik antragsgemäß verurteilt, womit auch die Ausgangsfrage beantwortet ist. Abspann. Anschließend wird bei Maischberger, wo nun erneut Edgar Selge Platz nimmt, schließlich war er ja der Richter, mit weiteren Experten noch einmal über das Ganze diskutiert. Aber was war es, dem wir hier beigewohnt haben?

Bundesregierungs-Besieger

Die für die Produktion zuständige Programmdirektorin vom Rundfunk Berlin-Brandenburg erläuterte anlässlich der Ausstrahlung, man habe sich zu der Idee des Ganzen von Fridays for Future inspirieren lassen, dann aber Sorge gehabt, bei der Ausstrahlung schon wieder von der Realität überholt worden zu sein; deshalb habe man den Film in die Zukunft verlegt. Doch die Realität, von der er handelt, ist längst da. Weltweit sind mittlerweile weit über tausend Gerichtsverfahren speziell zum Klimawandel geführt worden oder noch anhängig, die meisten davon in den Vereinigten Staaten, seit einigen Jahren werden es auch in Europa mehr.

Die zunächst verstreuten Kläger und Initiativen haben sich mittlerweile zu einer regelrechten Bewegung verfestigt, die sich »Climate Justice« nennt und, im Namen klingt es an, zentral auf die Mobilisierung der Dritten Gewalt für ihre Ziele setzt. Die Gerichte sind dadurch ihrerseits zu einem wichtigen Akteur auf diesem Feld aufgestiegen, und mehr und mehr schieben sie sich sogar in die Führungsrolle. Als Meilenstein auf diesem Weg gilt aus der Rückschau eine Entscheidung des obersten Gerichts der Niederlande, Hoge Raad, der auf eine Klage der Nichtregierungsorganisation »Urgenda« aus Art. 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Verpflichtung der Niederlande postulierte, die Treibhausgasemissionen deutlich stärker zu reduzieren als ursprünglich vorgesehen. Es war dies weltweit das erste Mal, dass ein Staat in dieser Weise verurteilt wurde.

Ein weiteres Großverfahren dieser Art ist derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig; sechs Kinder und Jugendliche aus Portugal im Alter von 9 bis 22 Jahren machen dort gegen die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Großbritannien, die Schweiz, Norwegen, Russland, die Türkei und die Ukraine ebenfalls eine Verletzung ihrer Rechte aus der Menschenrechtskonvention wegen unzureichender Klimaschutzanstrengungen geltend.

Nun hat mit dem Bundesverfassungsgericht eines der weltweit wirkmächtigsten Verfassungsgerichte überhaupt, ein Rollenvorbild für viele andere, ebenfalls Position bezogen und dem Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 24. März 2021 aufgegeben, in längerfristigen Zeiträumen zu denken und seine Klimaziele entsprechend nachzuschärfen. Es war ein weiterer spektakulärer Erfolg, ein Ausgang, auf den nicht einmal diejenigen zu hoffen gewagt hatten, die das Verfahren angestrengt hatten. »Das kam«, sagte der Schauspieler Hannes Jaenicke, der nicht im Film, wohl aber bei der Verfassungsbeschwerde der realen Welt mit von der Partie war, »völlig überraschend. Niemand von uns hat damit gerechnet, Bundesregierungs-Besieger zu werden.«

Fast wie im Film

In dem beiläufig dahingesagten Satz kommt anschaulich zum Ausdruck, was in dem Verfahren alles mitschwang und worum es – neben, natürlich, dem Klimaschutz – sonst noch gegangen sein mag: um eine Zurechtweisung der Regierenden im Namen eines höheren Ziels, um den sympathischen Aufstand von unten gegen eine ignorante Politik, in alledem vielleicht auch um ein Stück des alten Kampfs von David gegen Goliath. Hervor tritt dies schon in der Art und Weise, in der das Verfahren betrieben und begleitet worden ist. Maßgeblich initiiert, koordiniert und zu einem erheblichen Teil auch finanziert wurden die Verfassungsbeschwerden von verschiedenen Umweltverbänden: Greenpeace, Germanwatch und der Deutschen Umwelthilfe, die teils auch selbst als Beschwerdeführer auftraten.

Einer von ihnen, die Deutsche Umwelthilfe, erklärt auf ihrer Homepage, was den Anstoß dazu gab: Der Brief eines elfjährigen Mädchens, so erfährt man, habe alles ausgelöst. Man kann ihn dort bis heute im Original nachlesen. Sie gehe, schrieb das Mädchen, in die sechste Klasse und finde es schlimm, wie wenig die Politiker gegen den Klimawandel tun; deshalb wolle sie die Bundesregierung verklagen und bitte um Unterstützung: damit »die Menschen in 100 oder 150 Jahren noch wissen, was Schnee ist«.

Andere, wie Greenpeace, präsentieren ausgewählte Kläger im Porträt: »Diese jungen Menschen ziehen für mehr Klimaschutz vor das Bundesverfassungsgericht.« Vorgestellt werden, jeweils mit Namen und Bild: vier Geschwister aus einer Landwirtsfamilie der Nordseeinsel Pellworm, die, wie hier ebenfalls zu lesen, 2017 schon einmal komplett überflutet war; ein neunzehnjähriger Schüler aus Langeoog, der dort einmal den elterlichen Hotelbetrieb übernehmen will; eine Studentin der Geografie als »Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin«; zuletzt und ähnlich wie im Film ein Jungbauer aus dem Brandenburgischen, dessen Tiere dort bereits jetzt unter Dürre und Hitze leiden.

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