Im Dienst der guten Sache
Anmerkungen aus Anlass des Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichts von Uwe VolkmannAnmerkungen aus Anlass des Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichts
Vorspiel
Am 20. November 2020 strahlte die ARD im Rahmen einer Themenwoche »#WieLeben« unter dem Titel Ökozid einen Film über eine fiktive Gerichtsverhandlung aus. Man schreibt darin das Jahr 2034; verhandelt wird die Klage von 31 Ländern des Globalen Südens, die vom Klimasünder Bundesrepublik Schadensersatz für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen verlangen; Ort der Szene ist der Internationale Gerichtshof, der wegen ständiger Sturmfluten kurzfristig von Den Haag nach Berlin umziehen musste. Auf dem Bild, mit dem der Film beworben wird, sieht man den Schauspieler Edgar Selge, wie er als Vorsitzender Richter der von Martina Eitner-Acheampong gespielten Angela Merkel sanft ins Gewissen redet: »Lassen sich«, so seine Frage, »tatsächlich aus den Menschenrechten Pflichten für die Staaten zum Umgang mit dem Klimawandel ableiten? Die Bundesregierung verneint dies.« Verteidigt wird sie dabei von Ulrich Tukur als arrogantem Schnösel, dem man kein Wort des Bedauerns für die Opfer glaubt, das routiniert über seine Lippen kommt. Auch Altkanzler Gerhard Schröder, erfährt man im Laufe des Films, war zur Verhandlung geladen, hat es aber vorgezogen, sich wegen seines angegriffenen Gesundheitszustands – man schreibt eben schon 2034 – in der Russischen Föderation behandeln zu lassen. Stattdessen treten dort unter anderem auf: ein Landwirt aus dem Brandenburgischen, der erzählt, wie infolge von Dürren und Waldbränden seine Rinder weggestorben sind; verschiedene Sachverständige aus der Wirtschaft, der EU-Kommission oder von Umweltverbänden; ein Anwalt aus Bangladesch, der über die Überschwemmungen in seiner Heimat informieren darf. Am Ende, es hatte sich angedeutet, wird die Bundesrepublik antragsgemäß verurteilt, womit auch die Ausgangsfrage beantwortet ist. Abspann. Anschließend wird bei Maischberger, wo nun erneut Edgar Selge Platz nimmt, schließlich war er ja der Richter, mit weiteren Experten noch einmal über das Ganze diskutiert. Aber was war es, dem wir hier beigewohnt haben?
Bundesregierungs-Besieger
Die für die Produktion zuständige Programmdirektorin vom Rundfunk Berlin-Brandenburg erläuterte anlässlich der Ausstrahlung, man habe sich zu der Idee des Ganzen von Fridays for Future inspirieren lassen, dann aber Sorge gehabt, bei der Ausstrahlung schon wieder von der Realität überholt worden zu sein; deshalb habe man den Film in die Zukunft verlegt. Doch die Realität, von der er handelt, ist längst da. Weltweit sind mittlerweile weit über tausend Gerichtsverfahren speziell zum Klimawandel geführt worden oder noch anhängig, die meisten davon in den Vereinigten Staaten, seit einigen Jahren werden es auch in Europa mehr.
Die zunächst verstreuten Kläger und Initiativen haben sich mittlerweile zu einer regelrechten Bewegung verfestigt, die sich »Climate Justice« nennt und, im Namen klingt es an, zentral auf die Mobilisierung der Dritten Gewalt für ihre Ziele setzt. Die Gerichte sind dadurch ihrerseits zu einem wichtigen Akteur auf diesem Feld aufgestiegen, und mehr und mehr schieben sie sich sogar in die Führungsrolle. Als Meilenstein auf diesem Weg gilt aus der Rückschau eine Entscheidung des obersten Gerichts der Niederlande, Hoge Raad, der auf eine Klage der Nichtregierungsorganisation »Urgenda« aus Art. 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Verpflichtung der Niederlande postulierte, die Treibhausgasemissionen deutlich stärker zu reduzieren als ursprünglich vorgesehen. Es war dies weltweit das erste Mal, dass ein Staat in dieser Weise verurteilt wurde.