Heft 845, Oktober 2019

Kunstmarkt und Globalkultur

von Thomas E. Schmidt

Fast jede Woche im Herbst und im Frühjahr purzelt eine Meldung vom internationalen Kunstmarkt herein, begleitet von Kopfschütteln, weniger von Empörung, wie in anderen Fällen heilloser Ressourcenverschwendung. Dass jemand Millionen und Abermillionen für ein Bild zu zahlen bereit ist, wird offenbar immer noch als Privatangelegenheit betrachtet und noch nicht als Verstoß gegen ethische Normen, die inzwischen wie Pilze aufschießen und jede Praktik des zeitgenössischen Lebens brandmarken können. Kulturwerte sind menschenrechtskonform und weitgehend klimaneutral, meistens jedenfalls, es gibt schon erste Ausnahmen. Dennoch erscheint die finanzielle Verausgabung für Kunst, wiewohl sie doch auf obszöne Weise materielle Ungleichheitsverhältnisse zum Ausdruck bringt, als persönliches Schicksal von jemandem, der es ertragen kann. Früher tauchte ein teurer Kauf in den bunten Seiten der Zeitungen auf, heute ist das Interesse daran nicht nur größer, sondern auch differenzierter: Von argwöhnischen Kommentaren werden die Ereignisse des Kunstmarkts hierzulande begleitet, in China bejubelt man in Rekordpreisen sich selbst und seine Finanzkraft.

Das Ganze ist also vielleicht doch nicht so höchstpersönlich. Der vor Jahren nur in den seltensten Fällen für erwähnenswert erachtete Vorgang der Preisfindung für Kunst wird beobachtet, wo er öffentlich stattfindet: auf Auktionen. Die Versteigerungen der beiden internationalen Marktführer Christie’s und Sotheby’s, bei Bedarf aber auch die Resultate kleinerer Häuser, stellen in Sachen Kunst so etwas wie die sichtbare Seite des kommerziellen Monds dar. Sie generieren Informationen.

Der Rest ist Dunkelfeld, das ebenfalls beobachtet wird, wenn auch im Modus der Vermutung und der Spekulation. Die nicht sichtbare Seite der Transaktion ist die Projektionsfläche für Misstrauen. Der dabei sich einschleichende Verdacht bezieht sich auf Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, illegalen Antikenhandel, Schmuggel, Betrug. Der Primärmarkt wird solcher Vergehen regelmäßig verdächtigt, sämtliche Sektoren des Handels mit archäologischen Gütern ohnehin, unter dauerndem Manipulationsverdacht stehen aber auch die Preistaxen auf dem Sekundärmarkt der Auktionsunternehmen.

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