Kunstmarkt und Globalkultur
von Thomas E. SchmidtFast jede Woche im Herbst und im Frühjahr purzelt eine Meldung vom internationalen Kunstmarkt herein, begleitet von Kopfschütteln, weniger von Empörung, wie in anderen Fällen heilloser Ressourcenverschwendung. Dass jemand Millionen und Abermillionen für ein Bild zu zahlen bereit ist, wird offenbar immer noch als Privatangelegenheit betrachtet und noch nicht als Verstoß gegen ethische Normen, die inzwischen wie Pilze aufschießen und jede Praktik des zeitgenössischen Lebens brandmarken können. Kulturwerte sind menschenrechtskonform und weitgehend klimaneutral, meistens jedenfalls, es gibt schon erste Ausnahmen. Dennoch erscheint die finanzielle Verausgabung für Kunst, wiewohl sie doch auf obszöne Weise materielle Ungleichheitsverhältnisse zum Ausdruck bringt, als persönliches Schicksal von jemandem, der es ertragen kann. Früher tauchte ein teurer Kauf in den bunten Seiten der Zeitungen auf, heute ist das Interesse daran nicht nur größer, sondern auch differenzierter: Von argwöhnischen Kommentaren werden die Ereignisse des Kunstmarkts hierzulande begleitet, in China bejubelt man in Rekordpreisen sich selbst und seine Finanzkraft.
Das Ganze ist also vielleicht doch nicht so höchstpersönlich. Der vor Jahren nur in den seltensten Fällen für erwähnenswert erachtete Vorgang der Preisfindung für Kunst wird beobachtet, wo er öffentlich stattfindet: auf Auktionen. Die Versteigerungen der beiden internationalen Marktführer Christie’s und Sotheby’s, bei Bedarf aber auch die Resultate kleinerer Häuser, stellen in Sachen Kunst so etwas wie die sichtbare Seite des kommerziellen Monds dar. Sie generieren Informationen.
Der Rest ist Dunkelfeld, das ebenfalls beobachtet wird, wenn auch im Modus der Vermutung und der Spekulation. Die nicht sichtbare Seite der Transaktion ist die Projektionsfläche für Misstrauen. Der dabei sich einschleichende Verdacht bezieht sich auf Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, illegalen Antikenhandel, Schmuggel, Betrug. Der Primärmarkt wird solcher Vergehen regelmäßig verdächtigt, sämtliche Sektoren des Handels mit archäologischen Gütern ohnehin, unter dauerndem Manipulationsverdacht stehen aber auch die Preistaxen auf dem Sekundärmarkt der Auktionsunternehmen.
Im Grunde ist gar nichts unverdächtig. Alles in diesem Metier besitzt eine dunkle Seite. Leider ist die niemals ganz aufzuhellen, selbst nicht durch strenge Rahmensetzung und Kontrollen. Die Werte der Kunst bleiben unter preistheoretischen Gesichtspunkten sonderbare Phänomene. Anders als beim Kauf eines Elektrorollers fließen in die reale Bewertung von Bildern Motive und Wissensbestände ein, die sich der Beobachtung von außen, insbesondere der stellvertretenden Vorstellungskraft von Medien, weitgehend entziehen. Die entscheidenden Motive sind kaum antizipierbar und auch nur mühsam rekonstruierbar. Sie haben mit ökonomischer Rationalität für gewöhnlich kaum etwas zu tun. Die Preise für Kunstwerke sind zwar nicht irrational, sie fallen jedoch stets erratisch aus. Folglich kann an dieser Stelle alles Mögliche unterstellt werden, und vielleicht ist das sogar unvermeidlich.
Preisfindung und Distribution von Kunstgütern liefern aber nicht nur weltweit Sensationsnachrichten, sie hinterlassen inzwischen Spuren in der Selbstorganisation großer Museen, und sie beeinflussen staatliche Kulturpolitik. Offensichtlich ereignet sich Bedeutsames. Der Kunstmarkt ist heute eine Art kryptisches Zeichen, er ist zu einem Symptom geworden für etwas, das Unbehagen auslöst, ohne dass man genau benennen kann, warum es so groß ist. Man weiß ja, der globale Kapitalismus hat sich mittlerweile auch auf die Kultur geworfen, weil die Zinsen überall niedrig sind, ganz Gewiefte flippen ihre Picassos und erzielen über Nacht erstaunliche Gewinne, es lächeln die New Yorker Galeristen zufrieden, und Global Player wie Sotheby’s fallen am Ende selbst in die Hände von Investoren, die dann den smarten Profiteuren des Geschehens noch einmal zeigen, wo Bartel seinen Most holt.
All das ist richtig, aber bekannt. Es ist das Material der üblichen, die Ökonomisierung der Welt beklagenden Kulturkritik. Es erklärt aber noch nicht, warum Ereignissen auf einem kleinen, hochspezialisierten, grosso modo illiquiden und informationell wenig transparenten Markt plötzlich eine paradigmatische Bedeutung zugemessen wird, und zwar so, dass es das Verhältnis ganzer Gesellschaften zur Bildenden Kunst, ja zu ihrer kulturellen Überlieferung insgesamt zu reflektieren zwingt und neu justiert.
Das Kunstmarktgeschehen beeinflusst die Kanonbildung, die Präsentation von öffentlichen Sammlungen, den Ausstellungsbetrieb und den Leihverkehr, die ethischen Kriterien für den Eigentumserwerb und die lokale Verbringung von Kunst, also auch die Gesetzgebung zum Schutz von Kulturgut sowie Ein- und Ausfuhrregeln. Wo der materielle Wert ins Unermessliche steigt und immer mehr Kunst in den Maelstrom eines unkontrollierbaren Handels gezogen zu werden scheint, ist offenbar Schutz vonnöten. Doch wer oder was muss geschützt werden und vor wem? Darüber gibt es kein Einvernehmen, aber entschlossenen Willen, Abhilfe zu schaffen.
Moralische Reizbarkeit
Ein Blick auf die heimische Situation: In der Stimmungslage und in der rechtlichen Situation der Bundesrepublik bilden sich derzeit sämtliche Reaktionsbildungen gegenüber einem veränderten Kunstmarkt ab, wie sie für entwickelte westeuropäische Gesellschaften charakteristisch sind. In zugespitzter Form, darf man hinzufügen. Für den internationalen Kunsthandel gehört Deutschland nach wie vor zu den interessantesten Märkten, was Einlieferungen, aber auch was Erwerbungen betrifft. Vermögen, Kennerschaft, alte Sammlungen – dies ist alles noch reichlich vorhanden.
Gleichwohl beträgt der Anteil des deutschen Kunsthandels an der weltweiten »industry« nur ein bis zwei Prozent. Deutsche Sammler kaufen und verkaufen ihre bedeutenderen Stücke vor allem auf den großen Handelsplätzen New York, London, Paris und Hongkong. Spätestens seit 2014 eine Nachfolgefirma der Westdeutschen Landesbank ihre Sammlung hochwertiger Gemälde der klassischen Moderne versteigern ließ, wird die Abwanderung von Spitzenwerken aus deutschen Sammlungen auch medial begleitet. Der Verkauf rief seinerzeit die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien auf den Plan, die insinuierte, es werde ungenehmigt öffentlicher Kulturbesitz versilbert. Tatsächlich handelte es sich um Privateigentum, aber der Vorgang wurde in der Öffentlichkeit dennoch als skandalös bewertet.
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