Heft 875, April 2022

Ohne sie

Zu Joan Didion von Verena Lueken

Zu Joan Didion

Gibt es Schriftstellerinnen von ihrem intellektuellen Format, die häufiger fotografiert wurden als Joan Didion? Selbst Susan Sontag kommt da nicht mit. LitHub verschickt seit Jahren an Spender sogar eine Baumwolltasche mit dem Aufdruck eines alten, längst ikonischen Fotos von ihr. Wie Joan Didion aussah und sich kleidete, ist Teil nicht nur ihrer öffentlichen Persona, sondern auch des schreibenden Ich in ihren Reportagen, Essays und Romanen. Zuerst mit langem Haar, gescheitelt, manchmal lächelnd, in langem Rock. Später mit halblangem Haar und Ponyfransen über der hohen Stirn, ohne Lächeln, in schmaler Hose und Tunika. Dann in übergroßen Pullovern mit Rollkragen. Gern barfuß. Immer wieder frontal fotografiert, das Kinn manchmal auf eine Hand mit langen Fingern aufgestützt. Die weit auseinanderliegenden Augen unter hochgeschwungenen Brauen direkt in die Kamera gerichtet, schaut sie uns auf den frühen Bildern an, wie sie sich in Malibu über das Lenkrad ihrer Corvette lehnt, rauchend, in den späteren in einem Sessel wie in einer Höhle sitzend, noch später schließlich aus dem leeren Raum. Oft sieht sie aus, als wackele sie mit dem Kopf, und das keineswegs immer amüsiert. Ganz spät fast transparent, als sei sie schon nicht mehr da.

Alle diese Fotos erzählen eine Geschichte. Eine Geschichte von unerschrockener Intelligenz bei gleichzeitig nervösem Selbstbewusstsein, von Einsamkeit und vom Altern, wie es sich zeigt, wenn niemand eingreift.

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