Rechtskolumne
Wissenschaft als Beruf von Florian MeinelWissenschaftspolitik als Problemberuf
Das Prestige und damit der politische Handlungsspielraum eines Ministeriums sind das Produkt einer Reihe von sehr unterschiedlichen Faktoren. Dazu gehören, von Charisma und politischem Können der Ministerin oder des Ministers einmal abgesehen, klassischerweise der Umfang und die Bedeutung der Gesetzgebungskompetenzen, die das Ressort federführend betreut, der Anteil des ministeriellen Einzelplans am Gesamtetat (Äquivalent der Verteilungsmacht) sowie Größe und Entscheidungsbefugnisse des nachgeordneten, also den Weisungen des Ministeriums unterworfenen Bereichs von Bundesbehörden, in denen Stellen besetzt werden können und administrative Gestaltungsmacht ausgeübt werden kann.
Weiche, aber nicht minder wichtige Faktoren sind die Aufmerksamkeit der Massenmedien für ein Politikfeld und – häufig übersehen – die Macht der Verbände und Interessenorganisationen, die das Ministerium als Ansprechpartner für ihre politischen Anliegen sehen.
Nach diesen Kriterien ist zum Beispiel das Prestige des auch für den Klimaschutz zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums trotz des relativ geringen Anteils am Bundeshaushalt hoch (bedeutsame Gesetzesvorhaben, mächtige nachgeordnete Behörden wie das Bundeskartellamt oder die Bundesnetzagentur, maximale Aufmerksamkeit der mächtigsten Akteure des Lobbyismus und der Medien). Das des Verkehrsministeriums ist trotz eines viermal so großen Etats viel geringer, weil die Straßenverkehrsordnung nur selten reformiert wird und das Kraftfahrzeugbundesamt keine Schlagzeilen macht. Das Außenministerium (keine Gesetzgebung, wenig Lobbyismus, aber viel Glamour) und das Finanzministerium (exorbitantes Prestige durch die Hoheit über den Bundeshaushalt) spielen seit jeher Sonderrollen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist in dieser Hinsicht ein interessanter Fall. Der Handlungsspielraum einer ambitionierten Wissenschaftspolitik des Bundes ist, obwohl der Haushalt des Ministeriums etwa doppelt so hoch ist wie der des Wirtschaftsressorts, denkbar gering. Seitdem die erste Föderalismusreform 2006, vermarktet als »Wettbewerbsföderalismus«, die Zuständigkeit des Bundes für das Hochschulrahmengesetz abgeschafft hat, betreut das Haus außer dem eher sozial- als forschungspolitisch wichtigen BAFÖG keine relevanten Gesetzgebungszuständigkeiten mehr. Das gesamte Hochschulrecht und die Hochschulfinanzierung sind Sache der Länder.
Das allgemeinpolitische Interesse für Wissenschafts- und Forschungspolitik ist meistens gering, kein Kanzler setzt seine Richtlinienkompetenz ein, um wissenschaftspolitischen Vorhaben zur Durchsetzung zu verhelfen, und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft oder der Deutsche Hochschulverband spielen eher in der dritten Liga der pressure groups.
Vor allem aber trägt der nachgeordnete Bereich nicht zur Stärke, sondern zur Schwäche des Ministeriums bei. Formal betrachtet hat das Bundesbildungsministerium überhaupt keine ihm untergebenen Behörden. Der Sache nach aber spielen die großen »Wissenschaftsorganisationen«, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina oder der Wissenschaftsrat genau diese Rolle und werden wie Behörden auch weit überwiegend aus dem Bundeshaushalt finanziert. Sie sind aber entweder als Vereine (DFG, MPG) oder als autonome Institutionen der Kooperation von Bund und Ländern (Wissenschaftsrat) organisiert. Sie können deswegen, auch durch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, ohne Einbindung in eine Regierungskoordinierung wie kleine Nebenministerien agieren, eigene Außenpolitik inklusive, in denen sich allerdings kein politischer Stil, sondern die universitäre Kultur der Selbstverwaltung durch Gremien fortsetzt.
Das typische Instrument der ministeriellen Wissenschaftspolitik des Bundes sind deswegen teure Finanzierungskampagnen, die in quasiwettbewerblichen Verfahren über externe Vorhabenträger abgewickelt werden und in denen die Politik versucht, über das Kleingedruckte der Bewilligungsbedingungen politischen Einfluss auf die Länder auszuüben. Deren Wissenschaftsressorts wiederum bilden dann gegenüber dem Bund eine lautlose Beutegemeinschaft.
Das lehrt die Erfahrung mit den sogenannten Wanka-Professuren, einem milliardenschweren Programm zur Etablierung des tenure track, das als Reform der Karrierewege und der Fakultätsstrukturen gemeint war, vielerorts aber vor allem als Stellensparprogramm umgesetzt wurde. Unter diesen Vorzeichen ist es nicht verwunderlich, dass für die Besetzung des Bildungsministeriums zumeist schwache Kandidaten ohne große politische Ambitionen und parteipolitische Machtbasis in Aussicht genommen werden. Franz Josef Strauß, Gerhard Stoltenberg oder Horst Ehmke würden sich heute andere Ressorts aussuchen.
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