Rechtskolumne
Wissenschaft als Beruf von Florian MeinelWissenschaftspolitik als Problemberuf
Das Prestige und damit der politische Handlungsspielraum eines Ministeriums sind das Produkt einer Reihe von sehr unterschiedlichen Faktoren. Dazu gehören, von Charisma und politischem Können der Ministerin oder des Ministers einmal abgesehen, klassischerweise der Umfang und die Bedeutung der Gesetzgebungskompetenzen, die das Ressort federführend betreut, der Anteil des ministeriellen Einzelplans am Gesamtetat (Äquivalent der Verteilungsmacht) sowie Größe und Entscheidungsbefugnisse des nachgeordneten, also den Weisungen des Ministeriums unterworfenen Bereichs von Bundesbehörden, in denen Stellen besetzt werden können und administrative Gestaltungsmacht ausgeübt werden kann.
Weiche, aber nicht minder wichtige Faktoren sind die Aufmerksamkeit der Massenmedien für ein Politikfeld und – häufig übersehen – die Macht der Verbände und Interessenorganisationen, die das Ministerium als Ansprechpartner für ihre politischen Anliegen sehen.
Nach diesen Kriterien ist zum Beispiel das Prestige des auch für den Klimaschutz zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums trotz des relativ geringen Anteils am Bundeshaushalt hoch (bedeutsame Gesetzesvorhaben, mächtige nachgeordnete Behörden wie das Bundeskartellamt oder die Bundesnetzagentur, maximale Aufmerksamkeit der mächtigsten Akteure des Lobbyismus und der Medien). Das des Verkehrsministeriums ist trotz eines viermal so großen Etats viel geringer, weil die Straßenverkehrsordnung nur selten reformiert wird und das Kraftfahrzeugbundesamt keine Schlagzeilen macht. Das Außenministerium (keine Gesetzgebung, wenig Lobbyismus, aber viel Glamour) und das Finanzministerium (exorbitantes Prestige durch die Hoheit über den Bundeshaushalt) spielen seit jeher Sonderrollen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist in dieser Hinsicht ein interessanter Fall. Der Handlungsspielraum einer ambitionierten Wissenschaftspolitik des Bundes ist, obwohl der Haushalt des Ministeriums etwa doppelt so hoch ist wie der des Wirtschaftsressorts, denkbar gering. Seitdem die erste Föderalismusreform 2006, vermarktet als »Wettbewerbsföderalismus«, die Zuständigkeit des Bundes für das Hochschulrahmengesetz abgeschafft hat, betreut das Haus außer dem eher sozial- als forschungspolitisch wichtigen BAFÖG keine relevanten Gesetzgebungszuständigkeiten mehr. Das gesamte Hochschulrecht und die Hochschulfinanzierung sind Sache der Länder.
Das allgemeinpolitische Interesse für Wissenschafts- und Forschungspolitik ist meistens gering, kein Kanzler setzt seine Richtlinienkompetenz ein, um wissenschaftspolitischen Vorhaben zur Durchsetzung zu verhelfen, und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft oder der Deutsche Hochschulverband spielen eher in der dritten Liga der pressure groups.
Vor allem aber trägt der nachgeordnete Bereich nicht zur Stärke, sondern zur Schwäche des Ministeriums bei. Formal betrachtet hat das Bundesbildungsministerium überhaupt keine ihm untergebenen Behörden. Der Sache nach aber spielen die großen »Wissenschaftsorganisationen«, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina oder der Wissenschaftsrat genau diese Rolle und werden wie Behörden auch weit überwiegend aus dem Bundeshaushalt finanziert. Sie sind aber entweder als Vereine (DFG, MPG) oder als autonome Institutionen der Kooperation von Bund und Ländern (Wissenschaftsrat) organisiert. Sie können deswegen, auch durch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, ohne Einbindung in eine Regierungskoordinierung wie kleine Nebenministerien agieren, eigene Außenpolitik inklusive, in denen sich allerdings kein politischer Stil, sondern die universitäre Kultur der Selbstverwaltung durch Gremien fortsetzt.
Das typische Instrument der ministeriellen Wissenschaftspolitik des Bundes sind deswegen teure Finanzierungskampagnen, die in quasiwettbewerblichen Verfahren über externe Vorhabenträger abgewickelt werden und in denen die Politik versucht, über das Kleingedruckte der Bewilligungsbedingungen politischen Einfluss auf die Länder auszuüben. Deren Wissenschaftsressorts wiederum bilden dann gegenüber dem Bund eine lautlose Beutegemeinschaft.
Das lehrt die Erfahrung mit den sogenannten Wanka-Professuren, einem milliardenschweren Programm zur Etablierung des tenure track, das als Reform der Karrierewege und der Fakultätsstrukturen gemeint war, vielerorts aber vor allem als Stellensparprogramm umgesetzt wurde. Unter diesen Vorzeichen ist es nicht verwunderlich, dass für die Besetzung des Bildungsministeriums zumeist schwache Kandidaten ohne große politische Ambitionen und parteipolitische Machtbasis in Aussicht genommen werden. Franz Josef Strauß, Gerhard Stoltenberg oder Horst Ehmke würden sich heute andere Ressorts aussuchen.
Kairos und Karriere: Woher kommt das Neue in der Wissenschaft?
So betrachtet, ist das Hickhack um das politisch wichtigste Gesetzgebungsvorhaben des Bundesbildungsministeriums, die Reform des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft, besser bekannt als Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), ein Scheitern mit Ansage. Und zwar unabhängig davon, ob der von der Bundesregierung im März 2024 beschlossene, aber vor der parlamentarischen Sommerpause nicht mehr auch nur in erster Lesung beratene Gesetzentwurf vor dem wahlkampfbedingten Ende der Gesetzgebung noch zustande kommt oder nicht. Denn es ist nicht nur eine Parabel über Pseudowettbewerb und Status-quo-Sicherung, Politiksuggestion und Politikverweigerung im deutschen Wissenschaftssystem. Es ist ein Lehrstück darüber, wie aus schlechten rechtlichen Rahmenbedingungen Politikunfähigkeit, aus Politikunfähigkeit Konzeptionslosigkeit und aus alledem am Ende der rhetorische Kampf zwischen Extrempositionen entsteht: hier eine utopische Versorgungsmentalität, dort Standesinteressen und professorale Arroganz.
Das seit 2007 existierende Gesetz regelt die Frage, für welche Zeiträume die Arbeitsverträge von Menschen befristet werden können, die Wissenschaft als Beruf betreiben, und zwar außerhalb einer Lebenszeitprofessur. Man nennt sie Promovierende, Postdoktoranden, Juniorprofessorinnen oder Nachwuchsgruppenleiter. Das Gesetz regelt die Zeithorizonte ihrer Karrieren einheitlich: Nach der Promotion, für die es bis zu sechs Jahre gibt, beginnt der kritische Moment, der für die Etablierung in der Forschung und die Berufung auf eine Professur entscheidende Zeitpunkt. Dafür konnten Stellen bisher für weitere sechs Jahre befristet werden. Künftig soll die befristete Anstellung in der Postdoc-Phase nur noch für vier Jahre möglich sein; eine weitere Befristung um zwei Jahre setzt nach dem Willen des Gesetzentwurfs eine belastbare Zusage für eine unbefristete Anschlussstelle voraus.
Jene Regelungen sind Ausnahmen von den Vorschriften des allgemeinen Arbeitsrechts über die sachgrundlose Befristung, die für das Hochschulpersonal nicht passen. Schließlich, so die übliche Begründung, sind solche Qualifikationsstellen kein Arbeitsverhältnis wie jedes andere, sondern ein Wettbewerb um die Berufung auf Lebenszeitprofessuren, in dem sich die Besten durchsetzen. Die Universitäten sind deswegen sehr zurückhaltend in der Schaffung von unbefristeten wissenschaftlichen Stellen unterhalb der Professur. Ist eine Stelle unbefristet besetzt, kann sie für die nächsten Kohorten von jungen Wissenschaftlerinnen blockiert sein. Hypothese: Originelle Forschung entsteht nur aus einer gewissen Unsicherheit und Risikobereitschaft heraus.
Gegenfrage: Wie passt das zur Einrichtung von Professuren auf Lebenszeit, auf denen einem gar nichts mehr passieren kann, solange man keine silbernen Löffel klaut? Zu den Eigenarten des Karrieresystems Wissenschaft gehört, dass es den äußeren Originalitätsdruck in der Postdoc-Phase maximiert, um ihn nach Erreichen der Lebenszeitberufung plötzlich und für immer drastisch zu reduzieren – etwas Abgebrühtheit vorausgesetzt auf null.
Was der Bundesgesetzgeber nicht regeln kann
Wie konnte der Konflikt um das WissZeitVG so eskalieren? Die Twitter-Kampagne #IchBinHanna wurde seit 2021 schnell zu einer regelrechten Protestbewegung gegen die Zustände an deutschen Universitäten,1 die durch öffentliche Stellungnahmen der Wissenschaftsorganisationen angeheizt wurde.2 Erst am Ende stand das unglückliche, dann skandalöse Agieren der Ministerin: Anfang 2023 musste sie ein unzureichend abgestimmtes Eckpunktepapier unter großem Getöse wieder zurückziehen (»zurück in die Montagehalle«), dann machte sie sich just zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens über den zweiten Entwurf politisch untragbar, als ihre Hausleitung um schwarze Listen propalästinensischer Wissenschaftler bat, um Förderungen zu überprüfen. Kein idealer Start der parlamentarischen Beratung.
Eine Erklärung für den prinzipiellen Charakter des Konflikts könnte darin liegen, dass die Gruppe, die es betrifft, überhaupt erst durch das Gesetz geschaffen wurde. Was ist schon das gemeinsame Interesse von Promovierenden in den Ingenieurs- oder Rechtswissenschaften auf der einen Seite, auf die nach dem akademischen Zwischenspiel glänzend bezahlte Jobs warten und von denen die Unis deswegen abhängiger sind als umgekehrt, und auf der anderen Seite von Postdocs in großen experimentellen Arbeitsgruppen oder von Habilitanden in kleinen geisteswissenschaftlichen Fächern, die alles auf die Karte der wissenschaftlichen Karriere setzen müssen?
Das Problem dahinter ist der verfassungsrechtliche Rahmen: Der Bundesgesetzgeber darf gar nichts anderes regeln als die völlig isolierte arbeitsrechtliche Frage der Höchstbefristung, nicht aber die hochschulrechtliche Seite wissenschaftlicher Karrieren und die sinnvolle Abstimmung unterschiedlicher Karrierewege (Juniorprofessuren, Nachwuchsgruppenleitungen, Stipendien, Mittelbaustellen usw.) aufeinander. Gerade das aber schlägt um in Mobilisierung: Den »wissenschaftlichen Nachwuchs« gibt es, weil die Tatbestände des Gesetzes eine Betroffenengruppe schaffen.
Diese Betroffenen sind nämlich nicht dasselbe wie der alte akademische Mittelbau, zu dem das gesamte graduierte, auch unbefristete wissenschaftliche Personal gehörte, das keine Professur innehat. Jener durch das Gesetz erst zu Selbstbewusstsein gekommene »Nachwuchs«, zu dem man je nach Fachkultur auch noch mit Mitte vierzig gehören kann, hält wegen des Gesetzes der Wissenschaftspolitik des Bundes – und nicht etwa den nach dem Grundgesetz zuständigen Ländern – ihre fehlende Gesamtkonzeption für Karrierewege an Hochschulen vor. Weil der Bund nur die allgemeinste Generationenfrage der Verweildauer in der Nachwuchskohorte regeln darf, wurde die Frage zu einem stark identitär geführten Generationenkonflikt aufgebaut.
Die zumeist aus dem Kreis der Betroffenen stammenden Gegner der Reform, mit denen sich freilich zahlreiche Professoren vor allem der Geistes- und Sozialwissenschaften solidarisiert haben, zeichnen den wissenschaftlichen Nachwuchs gerne als prekäre soziale Schicht in dauernder Abhängigkeit und Ausbeutung unter permanenter Drohung mit einem »Berufsverbot« nach Erreichen der Befristungshöchstdauer.
Das Gesetz soll eine Gefahr darstellen für den Wissenschaftsstandort Deutschland, wenn die Besten als Folge seiner Fehlsteuerung nicht kommen oder abwandern (nur: wohin?). Schon das Ausfüllen der Formulare über befristungsrelevante Vorbeschäftigungen – eine Demütigung. In der Regel verweisen die Aktivisten auf die vergleichsweise sehr hohen Befristungsquoten des wissenschaftlichen Personals an deutschen Universitäten. Auf der Plattform X kursieren dazu absurde Grafiken. Der vermeintliche Skandal wird freilich deutlich kleiner, wenn man die Doktoranden herausrechnet, die in Deutschland in vielen Fällen zu ihrem Vorteil sozialversicherungspflichtig beschäftigt und keine PhD students sind.
Die Befürworter des bisherigen Befristungsmodells hingegen, in aller Regel in der Komfortzone der Lebenszeitstellung tätig, jedenfalls ausnahmslos Gewinner des bisherigen Systems und als solche besonders fest von dessen meritokratischer Legitimation überzeugt, sehen vor allem die Anspruchshaltung von Millennials in der biografischen Energiekrise, die gerne verlässliche Dauerstellen gleich nach dem Master-Abschluss hätten, im Übrigen den Wettbewerb scheuen und ihn deswegen als »neoliberal« politisch attackieren. Man selbst wollte ja damals noch vorankommen und richtig was leisten!
Kaschierte Konflikte
Die wirkliche Interessenlage ist wie immer komplizierter. Alle strukturell ungelösten Probleme der Wissenschaftspolitik treffen sich in der, für sich betrachtet, eigentlich marginalen Frage einer bundesrechtlichen Regelung des Befristungsrechts. Etwa das für internationale Bewerber unattraktive Dienstrecht (das die Internationalisierung erschwert), aber auch die scharfe materielle Ungleichheit zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dass dieselben Befristungsregelungen für Postdocs an den exzellent finanzierten Max-Planck-Instituten gelten, die den Lehrbetrieb nur vom Hörensagen kennen, wie für Lehrstuhlmitarbeiter mit hoher Lehr- und Prüfungsbelastung, kaschiert einen Klassenunterschied, der vielleicht zu rechtfertigen wäre, wenn die Besetzung der Qualifikationsstellen an den Max-Planck-Instituten halbwegs wettbewerblich geschähe und nicht in den meisten Fällen dem Gutdünken der Direktoren obläge, rituell verbrämt als »Harnack-Prinzip«. Es soll ja auch Fächer geben, in denen die MPIs zwar ein Vielfaches der universitären Forschung kosten, aber bestenfalls durchschnittliche Forschungsergebnisse vorzuweisen haben.
Indirekt geht es auch um die Forschungsfinanzierung durch vorwiegend projektbezogene Drittmittel, von denen der größte Anteil aus dem Bundeshaushalt stammt und etwa zu gleichen Teilen direkt und über die Finanzierung der DFG ausgegeben wird. Drittmittel tragen ungefähr ein Drittel zu den Budgets der Hochschulen bei, obwohl sie nicht deswegen so heißen. Weil über den langwierigen Antragsverfahren das Wort »Wettbewerb« steht, gilt die Verschiebung der Finanzierungsanteile von der Grundfinanzierung zu den Drittmitteln als Indikator der »Ökonomisierung« der Hochschulen. Dabei kann von einem wirklichen Wettbewerb bei der gremiengesteuerten Aushandlung und Festlegung von Marktanteilen ohne Beteiligung von Kunden natürlich keine Rede sein.
Mit der Befristung hat das zu tun, weil der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 WissZeitVG eine Ausnahme geschaffen hat und Beschäftigte in Drittelmittelprojekten von der Geltung der Befristungsverbote ausnimmt. Der Bundesgesetzgeber hält seine eigenen Regelungen also dort für besonders unpassend, wo er selbst finanziell engagiert ist, und schafft auf diese Weise starke Ungleichgewichte zwischen drittmittelstarken und drittmittelschwachen Fächern auf der Angebotsseite des akademischen Arbeitsmarkts. Letztere sind vor allem die »Buchfächer«, die Geisteswissenschaften, aus denen der Widerstand gegen das WissZeitVG sich deswegen auch vornehmlich rekrutiert, Fächer also, in denen nicht nur die Promotion, sondern auch ein ernstzunehmendes Postdoc-Projekt nach wie vor im Kern die Form der Monografie verlangt.3
Ob diese Disziplinen durch die alte Regelung benachteiligt waren, kann man unterschiedlich beurteilen; jedenfalls sind sie es durch den Reformentwurf. Wer in ein paar flotten Papers ein marktgängiges Thema pitchen will, mag das in der Frist von vier Jahren schaffen, bevor künftig über die Dauerstelle entschieden werden muss. Wer sich für eine quellenintensive Spezialstudie Zeit nimmt, schafft es in der Regel nicht. Die Folge ist, dass in zunehmendem Maß schon der Erfolg der Promotion über die Karriere entscheidet, ohne dass das Promotionswesen dafür sinnvoll aufgestellt wäre.
Öffnung, Dezentralisierung und Wettbewerb
Was wäre also naheliegender als die vollständige Abschaffung des Gesetzes und seine Ablösung durch Öffnungsklauseln für universitäts-, länder- oder fachspezifische Regelungen über Qualifikationswege und -stellen? Was spräche etwa dagegen, in den Gremien der DFG Leitlinien für die Gestaltung von Arbeitsverträgen des Nachwuchses ausarbeiten zu lassen, wie es ja auch schon Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis gibt? Fachspezifische Lösungen wären auf diese Weise ebenso leichter möglich wie faire Regelungen für drittmittelfinanzierte Projekte. Diese Leitlinien würden allgemeinverbindlich, wenn sie Hochschulen, die sie nicht beachten, kurzerhand von der Einwerbung von Drittmitteln ausschlössen. So ist es beim Fehlverhaltenskodex nämlich auch.
Doch eine solche Lösung, die statt der Bundespolitik die sich in der DFG selbst verwaltende Forschung in die Pflicht nähme, will offenbar niemand, einmal abgesehen von der Frage, ob sie arbeitsrechtlich machbar wäre. Nicht nur dürfte die DFG sich scheuen, in den Konflikt einzutreten. Vor allem zeigt sich hier, wie groß das Interesse daran ist, dass sich die Reformfrage tatsächlich auf die kleine, vom Bundesgesetzgeber regelbare Frage der Befristungshöchstdauer beschränkt, mit anderen Worten: worüber nicht gesprochen wird.
Nach wie vor ist an den Universitäten die Macht zur Verteilung von Stellen und Chancen in der Regel nicht in kollegiale Strukturen oder nachvollziehbare Verfahren eingebettet, sondern dezentral in Form von persönlich zugeordneten Stellen bei den einzelnen Professuren angesiedelt (»Lehrstuhlprinzip«). Die Entscheidung über die Besetzung von Stellen ist aber in der Regel zugleich eine Entscheidung über Chancen bei der Promotion und in der Postdoc-Phase. Weder bei der Zulassung zum Studium noch zur Promotion noch sonst wann gibt es vor der Bewerbung auf Professuren sinnvolle, transparente und kompetitive Zulassungsverfahren, aus denen Bewerber mit dem Prestigegewinn der erfolgreichen Bewerbung hervorgehen. Stattdessen: Zufall, Loyalitäts- und Dankesschulden.
Drittmittel ändern daran nichts, sondern verteilen nur die Verteilungsmacht ungleich. Da die vom System Begünstigten ihre eigenen Entscheidungen zudem fast stets für wohlbegründet halten, ist der Veränderungsdruck gleich null. Nur über die Kollegen wundert man sich hier und da, wen die da wieder fördern, aber im Zweifel gilt: leben und leben lassen. Das funktionierte gewiss noch besser, solange sozial und heuristisch relativ geschlossene Professionskulturen relativ einheitliche Maßstäbe der dezentralen Nachwuchsrekrutierung garantierten. In diverseren, pluralistischeren Wissenschaftskulturen mit ihren Binnenkonflikten wird dieses Prinzip strukturell inadäquat. Deswegen wird über die Befristung ein Problem thematisiert, das eigentlich im Zugang zu den befristeten Stellen liegt. Solange dieses nicht gelöst ist, haben jene ein gutes Argument, die statt auf dem »hazard« der Personalauswahl lieber auf planbaren Karrieren in einer Wissenschaft als Beruf bestehen.
Wer sonst könnte die im Bundesministerium halb blockierte, halb verweigerte Rolle des Impulsgebers einer ernsthaften Reformpolitik spielen? Die Länder fallen trotz ihrer umfassenden Zuständigkeit wahrscheinlich aus. Schon die Chance einer Reform der Personalverfassung der Hochschulen und der Organisation der Fakultäten, die das Tenure-Track-Programm des Bundes bot, haben sie nicht genutzt. Überhaupt führt der Reformweg der Länder in einem überregional funktionierenden Hochschulsystem über das Verhandlungs- und Konsensprinzip der Kultusministerkonferenz, das jeden anspruchsvollen Reformansatz ausschließt.
Bleiben die Universitäten. Noch sind sie in ihrer Haltung zum WissZeitVG gespalten. Aber von ihnen kann nach Lage der Dinge am ehesten ein ernsthafter Reformimpuls ausgehen. Der Weg dazu wäre gar nicht so kompliziert: Das WissZeitVG müsste sich nur auf eine Mindestbefristung beschränken, im Übrigen aber alle Hochschulen vollständig vom arbeitsrechtlichen Befristungsrecht freistellen. Eine Mindestbefristung ist sinnvoll, denn es ist schlechte Praxis, Forschende gefügig zu halten, die alle paar Monate um die Verlängerung ihres Vertrages bitten müssen.
Mit einer generellen Ausnahme von Befristungsverboten für wissenschaftliche Stellen müssten sich die Unis selbst überlegen, ob und in welchen Fächern ihr komparativer Vorteil eher in einem Angebot an junge »high potentials« liegt, denen man für einige Jahre eine besonders gute Forschungsumgebung anbietet, aber keine dauerhafte Bleibeperspektive, oder in planbar unbefristeten Stellen; wie Zielvereinbarungen für solche Stellen abgeschlossen werden können und wie in allen Karrierephasen Anreize für originelle Forschung erhalten bleiben. Die Hochschulen müssten die Grundsätze dafür schon aus Gründen der Gleichbehandlung generell aufstellen und nicht im Einzelfall entscheiden. Indirekt läge der Vorteil einer solchen Lösung daher nicht zuletzt in einem Zwang zur Professionalisierung der Personalentwicklung an Hochschulen. Sie wird bisher nicht gebraucht, weil über das optimale Ergebnis der Personalentwicklung (Wegberufung) ohnehin woanders entschieden wird.
Eine zu kalte, zu unternehmensförmige Lösung? Marktförmiger als die bisherige gesetzliche Definition gleichförmiger Lebenszeitschaufenster geht es kaum. Was die Hochschulen aus ihrer Autonomie machen, ist schließlich auch ansonsten ihnen überlassen. Und nicht zuletzt sind es die Proteste gegen das WissZeitVG, nicht seine Verteidiger, die sich auf die alte Idee berufen, dass die Hochschulen Gegen-Orte der Gesellschaft, Institutionen wenn nicht eines besseren Selbst und freierer Reflexion, so doch zumindest weniger zweckrational organisierter Arbeitsbeziehungen sein sollen.4 Was immer man von Campus-Protesten gegen den Gaza-Krieg hält: Immerhin scheint die akademische Jugend die Universitäten noch nicht vollends als bloße Teilchenbeschleuniger ihrer Singularitäten zu sehen.
Anmerkungen
Amrei Bahr /Kristin Eichhorn /Sebastian Kubon, #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland. Berlin: Suhrkamp 2022.
Für attraktive wissenschaftliche Karrieren in Deutschland. Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen vom 27. März 2023 (www.allianz-der-wissenschaftsorganisationen.de/wp-content/uploads/2023/03/200230327_Allianz-Stellungnahme_Attraktive-Wissenschaftskarrieren_fin.pdf).
Steffen Martus /Carlos Spoerhase, Geistesarbeit. Eine Praxeologie der Geisteswissenschaften. Berlin: Suhrkamp 2022.
Morten Paul, Über Hochschulproteste 2024/1968. In: Merkur-Blog vom 23. Mai 2024 (www.merkur-zeitschrift.de/2024/05/23/ueber-hochschulproteste/).