Staatsmodernisierung
von Hans Peter BullPolitik und Medien haben die Einrichtung eines Bundesministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung als großen Fortschritt gefeiert. Der neue Minister Karsten Wildberger will »der Zukunft eine Chance« geben. Er will »Bürokratie reduzieren, Wirtschaft entlasten«; der Staat solle »besser, moderner und bürgerfreundlicher funktionieren«, das Land soll »schneller werden«. Auch Gesetze sollen künftig »digital entstehen – klar, verständlich und praxistauglich«. Eine zentrale Rolle soll dabei die vollständige Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mitsamt der Nutzung von Künstlicher Intelligenz spielen.
Neu ist diese Programmatik nicht. Die politischen Parteien haben Digitalisierung schon in den letzten Wahlkämpfen zu einem wesentlichen Ziel staatlichen Handelns erklärt. Die »Ampel«-Regierung hat noch im Dezember 2024 einen Staatsvertrag mit den Ländern über ein »Nationales Once-Only-Technical System« abgeschlossen, der sicherstellen soll, dass Bürger und Unternehmen »Daten bei Behörden nur noch einmal abgeben müssen«. Nach dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung soll alles digital werden, was bisher nur effektiv und effizient sein sollte. »Wir setzen auf konsequente Digitalisierung und ›Digital-Only‹: Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale Plattform (›One-Stop-Shop‹) ermöglicht werden, das heißt ohne Behördengang oder Schriftform.«
Auch die Justiz soll künftig digital arbeiten. In den rechts- und justizpolitischen Programmen der Bundestagsfraktionen wird das Thema zwar als deutlich weniger dringlich bewertet und zugleich differenzierter behandelt, von den fünf Fraktionen formuliert jedoch lediglich Die Linke ausdrücklich Ziele und Bedingungen einer Digitalisierung der Justiz.
Was fehlt, ist die Konkretisierung und Operationalisierung all dieser Ankündigungen. »Digitalisierung« ist ein überaus facettenreicher und voraussetzungsvoller Begriff. Sie kann Segen oder Fluch bedeuten – je nach der Art und Weise ihrer Umsetzung. Die Beschwörung der abstrakten Ziele reicht nicht aus.
Grenzen des Effizienzdenkens
Der vollständig digital modernisierte Staat, den sich der Modernisierungsminister vorstellt, wird die gleichförmigen Aufgaben der Massenverwaltung wie insbesondere die zahlreichen Sozialleistungen schneller und zuverlässiger erledigen als die traditionelle Bürokratie. Äußerlich wird dieser Staat wohl eine moderne Fassade, also vor allem viele modische Logos zeigen und im Internet vielfach präsent sein. Hinter der Außenfront werden neue Rechenzentren eingerichtet sein, die mit den Bildschirmgeräten in zahlreichen Callcentern verbunden sind. Dort werden Computer-Arbeiterinnen und -Arbeiter kontrollieren, ob die Maschinen programmgemäß funktionieren. Mit den Menschen, deren Angelegenheiten gerade bearbeitet werden, werden die an den Computern keinen Kontakt mehr haben; sie werden sich auf die Angaben verlassen, die elektronisch gespeichert sind.
Nachfragen und Beschwerden werden schon jetzt vielfach nur noch in eng begrenzten »Sprechstunden« entgegengenommen. Die Sachbearbeiter bleiben anonym und wechseln von einem Anruf zum anderen. In den hochkomplexen Datenverarbeitungssystemen diffundiert damit die Verantwortlichkeit der Sachbearbeiter, und die Nutzer finden keinen Ansprechpartner mehr, der für die Fehlerkorrektur zuständig ist. Die Regeln, nach denen die Verwaltung entscheidet, sollen so konstruiert sein, dass möglichst viele Vorgänge schematisch, nach programmierten Routinen erledigt werden können; die Berücksichtigung individueller Besonderheiten gilt als Störung der vorgesehenen Abläufe, so dass Einzelfallgerechtigkeit bewusst als nachrangig angesehen wird.
Richtig ausgeführt, wird die Reorganisation der Verwaltungsarbeit den Betroffenen und der Allgemeinheit gleichwohl einige Annehmlichkeiten verschaffen: Kindergeldzahlungen ohne Antrag sogleich nach der Meldung von Neugeburten aus der Klinik (Vorbild Österreich), leicht zugängliche Formulare für alle möglichen Verwaltungsleistungen, Rechtsauskünfte und Empfehlungen zur Geltendmachung von Ansprüchen. Am meisten wird die Verwaltung selbst von der Digitalisierung profitieren.
Die Zusammenführung der administrativen Register – auch dies (in dem einschlägigen Bundesgesetz) als »Modernisierung« bezeichnet – erleichtert den Behörden von Bund und Ländern die Bearbeitung von Angelegenheiten, wenn Daten aus verschiedenen Verwaltungszweigen benötigt werden. Die Steuerverwaltung bedient sich schon jetzt höchst intensiv der Informationstechnik: Durch »Risikomanagementsysteme« spürt sie (aufgrund von Erfahrungssätzen) Angaben der Steuerpflichtigen auf, die von dem Üblichen abweichen und daher möglicherweise falsch sind; so können sie Verdacht schöpfen und Nachfragen stellen, wenn zum Beispiel ein Gewerbebetrieb plötzlich geringere Einnahmen angibt als in den Vorjahren. Kontrollmitteilungen zahlreicher Stellen unterstützen die Durchsetzung des staatlichen Steueranspruchs.