Heft 917, Oktober 2025

Tod und Nachleben des Verbrenners

von Jan Wetzel

Die Tage des Verbrennungsmotors sind gezählt. Auch wenn er den Straßenverkehr heute noch dominiert und die Antriebswende deutlich langsamer vorangeht, als man noch vor wenigen Jahren hoffte: Im Lauf der nächsten Jahrzehnte wird er erst seine dominierende Stellung als Antriebstechnologie verlieren und schließlich in einer Nische verschwinden. Eigentlich könnte die Geschichte damit beendet sein. Eine veraltete Technologie wird durch eine neue, bessere abgelöst, der Verbrenner durch den Stromer ersetzt.

Aber ist es so einfach? Marshall McLuhan hat beobachtet, dass neue Medientechnologien ihre Vorgänger selten vollständig verdrängen. Was technisch obsolet wird, verschwindet nicht einfach – es wird transformiert. Alte Medien bestehen weiter, oft in veränderter Form. Das scheint nicht nur für Medientechnologien zu gelten, sondern für Technologien überhaupt, auch für den Verbrennungsmotor.

Antriebswende als Wertewandel

Man mag eine solche Perspektive als medientheoretische Spitzfindigkeit abtun. Doch damit würde man verkennen, dass die Antriebswende im privaten Individualverkehr mit ganz konkreten gestalterischen Herausforderungen verbunden ist. Autos sind für viele Hersteller und ihre Kunden nicht bloß Maschinen, die Menschen und ihr Gepäck von A nach B bringen. Sie sind Amalgame aus Technik und Ästhetik, aus Gewohnheits- und Liebhaberwerten. Ein Auto zu bauen heißt, all diese Werte in ein marktfähiges Produkt zu überführen.

Mit der Antriebswende wird die automobile Wertordnung neu konfiguriert. Der Grund dafür ist zunächst ein physikalischer. Der Verbrennungsmotor funktioniert, indem er ein Gemisch aus Luft und Kraftstoff zündet. Dabei entsteht ein explosionsartiger Druck, der den Kolben in Bewegung setzt. Eine komplizierte und stark beanspruchte Mechanik übersetzt diese lineare Kraft in Drehmoment. Das ist ineffizient. Nur ein gutes Viertel der chemischen Energie des Brennstoffs wird in Bewegungsenergie umgesetzt. Der Rest wird zu Wärme, die aufwändig abgeführt werden muss. Versagt die Kühlung, schmelzen Dichtungsgummis, schmiert das Öl nicht mehr, entzündet sich der Brennstoff unkontrolliert, reißt das Metall; in wenigen Minuten zerstört der Motor sich selbst.

Der elektromagnetische Antrieb wirkt im Vergleich unspektakulär. Ein feststehender Teil – der sogenannte Stator – erzeugt mithilfe elektrischen Stroms ein rotierendes Magnetfeld. Dieses versetzt den sogenannten Rotor – das bewegliche Bauteil im Inneren – in Drehung. Ein Getriebe ist überflüssig, da die Drehbewegung direkt anliegt. Der Elektromotor ist einfacher konstruiert als ein Verbrenner, benötigt weniger Bauteile und ist dadurch wartungsärmer, zuverlässiger und langlebiger. Zudem nutzt er die eingesetzte Energie wesentlich effizienter. Sein Wirkungsgrad ist drei- bis viermal so hoch wie der des Verbrennungsmotors.

Als der Individualverkehr Ende des 19. Jahrhunderts motorisiert wurde, war keineswegs ausgemacht, welcher Antrieb sich durchsetzen würde. Elektrische, dampf- und benzinbetriebene Fahrzeuge entwickelten sich parallel, und der Stromer galt zunächst durchaus als zukunftsfähige Option. Im Deutschen Reich avancierte die Reichspost zu seinem wichtigsten Förderer. Schon vor dem Ersten Weltkrieg begann sie, eine Flotte elektrischer Lieferfahrzeuge aufzubauen, die sie bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb.

Dass sich der elektrische Antrieb trotz seiner konstruktiven Überlegenheit lange nicht gegen den Verbrennungsmotor durchsetzen konnte, lag vor allem an seiner Energiequelle. Die geringe Leistungsfähigkeit früher Batterien begrenzte Motorstärke und Reichweite elektrischer Fahrzeuge deutlich. Damit waren sie zwar, wie bei der Reichspost, für kurze Fahrten mit moderater Geschwindigkeit und vielen Stopps geeignet. Doch je schneller und weiter man fahren wollte, desto unpraktischer wurde der Stromer – so dass er in den 1920er Jahren weitgehend vom Markt verschwand. Gegen die sagenhafte Energiedichte fossiler Brennstoffe hatte die Batterie keine Chance. Die entstehende Pfadabhängigkeit – zementiert durch Raffinerien, Pipelines, Tankstellen und industrielle Massenproduktion – tat ihr Übriges.

Die politischen Kontexte einmal ausgeklammert, brachte den Wandel erst eine neue Batteriegeneration, allen voran der Lithium-​Ionen-​Akku. In den 1970er Jahren entwickelt, kam er ab den neunziger Jahren zunächst im Kleinstformat mobiler Elektronik zum Einsatz. Diese technische Genealogie spiegelt sich in der Herkunft der chinesischen Automobilkonzerne. BYD, Xiaomi oder Huawei begannen als Hersteller von Batterien, Mobiltelefonen und aller Art elektronischer Geräte.

Zwar ist auch nach jahrzehntelanger Forschung und Milliarden an Investitionen die Energiedichte fossiler Brennstoffe noch immer rund vierzigmal höher als die der modernsten Akkus. Doch weil der Elektromotor kaum Energie verschwendet, reichen diese inzwischen für vergleichbare und zunehmend bessere Fahrleistungen. Die Batterie wird damit zur energetischen Schlüsseltechnologie – zum Öl des 21. Jahrhunderts.

Verallgemeinerung des automobilen Luxus

Mit dem Fortschritt in der Batterietechnik kann der Stromer seine konstruktionsbedingten Vorteile insbesondere in zwei Bereichen zunehmend ausspielen: Leistung und Komfort.

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