Heft 917, Oktober 2025

Wie Arbeitserfahrungen Vorstellungen »guten« politischen Entscheidens prägen

von Nils C. Kumkar, Uwe Schimank

Welche Versuche der politischen Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme werden eigentlich als »gute« Politik empfunden? Wie stellen sich Menschen einen gelungenen Modus des Umgangs mit gesellschaftspolitischen Herausforderungen vor – etwa dem Klimawandel, der Migration oder der sich verschärfenden ökonomischen Ungleichheit? Eine äußerst spannende und innovative Antwort darauf hat vor knapp zwanzig Jahren der Schweizer Wirtschaftssoziologe Daniel Oesch vorgeschlagen: Es hängt in hohem Maße von der Beschaffenheit der Probleme ab, mit denen man im Berufsalltag zu tun hat. Berufstätige Menschen lernen im Lauf ihrer Karriere, welche Modi der Problembearbeitung erfolgversprechend sind und welche nicht. Und da der Beruf für sie den bedeutsamsten Teil ihrer Lebensführung ausmacht, übertragen sie diese Modi, ohne sich das zumeist bewusst zu machen, auch auf die Politik. Für Berufstätige zeichnen gute Politikerinnen und Politiker sich also insbesondere dadurch aus, dass sie Probleme mit derselben professionellen »Arbeitslogik« angehen wie sie selbst.

Oesch und andere haben in empirischen Studien für verschiedene westliche Demokratien gezeigt, dass diese Vermutung als sehr plausibel gelten kann – nicht als einziger Erklärungsfaktor, aber doch als ein gewichtiger: Lehrer wollen offenbar anders regiert werden als Ingenieurinnen oder auch als Verwaltungsbeamte. Wie genau anders, und warum, das haben die standardisierten Befragungen, die zu dieser Vermutung bislang durchgeführt wurden, nicht herausgefunden. Um Antworten darauf näher zu kommen, haben wir eine – sofern wir nichts übersehen haben, handelt es sich um die erste – Studie durchgeführt, die nichtstandardisierte Daten in Gestalt von Gruppendiskussionen zwischen Personen erhoben hat, die derselben Arbeitslogik verpflichtet sind.

Drei Vorstellungen guten politischen Entscheidens

Oesch unterscheidet anhand von zwei analytischen Dimensionen drei Arbeitslogiken: Hat man es mit Menschen als Arbeitsgegenstand zu tun – oder ist der Arbeitsgegenstand Natur oder Technik? Wenn Letzteres zutrifft, prägt die »technische« Arbeitslogik die berufliche Tätigkeit. Wenn man es demgegenüber mit Menschen zu tun hat: Muss man mit ihnen reden, weil ihre Mitwirkung essenziell dafür ist, was das eigene Arbeitshandeln bewirkt? Oder müssen sich die Gegenüber einer Entscheidung fügen, die man auf der Grundlage geltender Regeln fällt? In dem einen Fall liegt eine »interpersonelle«, in dem anderen eine »organisationale« Arbeitslogik vor.

Alle drei Arbeitslogiken sind analytische Konstrukte, die in Reinform kaum vorkommen. Die meisten Berufe stellen Mischformen dar, und doch kann man festmachen, welchem der drei Pole ein Beruf am nächsten ist. Die drei Berufe, die wir für unsere Untersuchung ausgewählt haben, verkörpern jeweils einen der drei Pole relativ eindeutig: Lehrer an Grundschulen die interpersonelle, Ingenieure die technische und Verwaltungsangestellte des mittleren Dienstes die organisationale Arbeitslogik. Unsere Gruppendiskussionen fanden zwischen je einem halben Dutzend Angehöriger dieser drei Berufe statt, wobei wir die Gruppen bewusst nicht gemischt besetzt haben, um zu ermöglichen, dass die Teilnehmer einander wechselseitig bei der Artikulation der betreffenden Arbeitslogik bestärken.

Die Diskussionen dauerten zwischen anderthalb und drei Stunden und wurden von uns durch einen Anfangsstimulus eingeleitet: Wir erkundigten uns bei den Teilnehmenden, wie sie die gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisen einschätzten und auf welche Weise sie selbst von ihnen betroffen seien. Die Frage war bewusst sehr offen gestellt, damit die Gruppen ihre eigenen inhaltlichen Relevanzen zum Ausdruck bringen konnten, und dies auch in einer Diskussionsform, die ihnen entspricht. Wir selbst haben uns so weit wie möglich auf die Rolle der Zuhörenden zurückgezogen. Diese Anlage der Diskussionen ermöglicht es, dass sich kollektiv geteiltes Wissen herausschält, und zwar auch und gerade in Gestalt latenter, den Betreffenden gar nicht explizit bewusster Orientierungen. Genau diese impliziten Deutungsmuster sind mit üblichen Befragungen kaum zu ermitteln. Mit Blick auf Politikinhalte ist es dabei irrelevant, ob die Diskutierenden sich bei einem Thema einig sind oder nicht. Uns interessiert vielmehr der Diskussionsmodus, auf den sie sich einigen können und den sie, wie zu vermuten ist, auch von der Politik erwarten.

Ein schneller, oberflächlicher Vergleich der drei Gruppendiskussionen ergibt zunächst ein homogenes Bild: Lehrer, Ingenieure und Verwaltungsangestellte sind sich darin einig, dass wir tatsächlich in einer Zeit der »Polykrisen« leben, die zu starken politischen Polarisierungen geführt hat, was allen Diskussionsteilnehmern große Sorgen macht. Wenn man dann allerdings genauer hinhört, auch auf Zwischentöne und die Art und Weise, wie bestimmte Einschätzungen und Sorgen zum Ausdruck gebracht werden, wird es spannend. Dann zeigen sich nämlich große Unterschiede hinsichtlich der Fragen, worin genau die Krisenhaftigkeit der gesellschaftlichen Situation gesehen wird, was die Politik im Umgang mit diesen Krisen falsch macht und wie eine bessere Politik auszusehen hätte. Lehrer und Ingenieure liegen hier am weitesten auseinander, die Verwaltungsangestellten wiederum positionieren sich zwischen den beiden anderen Gruppen.

Bereits die Art und Weise, wie die drei Berufsgruppen ungeachtet ihrer inhaltlichen Assoziationen auf unseren Eingangsstimulus reagieren, zeigt ein sehr unterschiedliches Handling von Problemen. Entscheidungssoziologisch betrachtet stellt unser Stimulus ein »schlecht-definiertes Problem« dar. Genau das monieren die Ingenieure und verlangen, dass die Interviewerin das Problem klarer benennt: Was genau soll alles als »Krise« verstanden werden, und was heißt »gegenwärtig«? Sonst laufe die Diskussion ja auf »Stammtischgerede« hinaus. Als die Interviewerin sich weigert, diese Spezifizierungen vorzugeben, entschließen sie sich, das selbst in die Hand zu nehmen – und beginnen dann erst die eigentliche Diskussion. Weder die Lehrer noch die Verwaltungsangestellten haben demgegenüber Rückfragen zu der ihnen gestellten Aufgabe. Die Lehrer steigen ohne irgendwelche Schwierigkeiten sofort in die Diskussion ein, indem sie einander zunächst vor allem über ihre emotionalen Befindlichkeiten angesichts der verschiedenen Krisen berichten und so in einen intensiven Austausch kommen. Die Verwaltungsangestellten schließlich betonen erst einmal, dass sie persönlich von den Krisen, über die sie sprechen, wenig oder gar nicht betroffen seien, um sie dann mit hinreichender Distanz näher betrachten zu können.

Die Analyse dieser Arten der Diskussionsführung gibt erste Hinweise auf berufstypische Prägungen: Die Lehrer nehmen das »schlecht-definierte« Problem so, wie es ist, lassen es also in seiner Diffusität und seinen Ambivalenzen stehen, indem sie beides als nun einmal gegebene Ausgangslage akzeptieren. Genau so ist Unterrichtsgeschehen als interpersonelle Komplexität beschaffen – auch wenn es gelungen ist, Schülern erfolgreich den Unterrichtsstoff beigebracht zu haben, bleibt diese Komplexität bestehen, wird sozusagen nur produktiv umkonfiguriert. Dahinter steht das irreduzible pädagogische »Technologiedefizit«: Soziale Interaktion ist keine »triviale Maschine«, die – wie ein Getränkeautomat – zuverlässig ganz bestimmte Inputs in ganz bestimmte Outputs transformiert.

Die Ingenieure formen das »schlecht-definierte« Problem in ein ihnen als gut definiert erscheinendes um, indem sie es mit Blick auf einen anzustrebenden Zielzustand – hier: ein möglichst klares Diskussionsergebnis – handhabbar machen. Das bedeutet: Reduktion der mit ihren Mitteln nicht handhabbaren konturlosen Problemkomplexität auf eine konturierte Gestalt, die sie mit ihren Werkzeugen angehen können. All das, was sich dieser Gestalt nicht fügt, sondern die Arbeit daran stört, wird möglichst ausgeblendet oder zumindest als Störquelle neutralisiert. Nur so kann zuverlässig funktionierende Technik gestaltet und funktionsfähig gehalten werden: als triviale Maschine – die freilich, wie zum Beispiel ein selbstfahrendes Auto, aus hochgradig kompliziert ineinandergreifenden Komponenten bestehen kann – beziehungsweise als größtmögliche Annäherung daran.

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