Heft 892, September 2023

Ästhetikkolumne

Museen und Opioide von Jan von Brevern

Museen und Opioide

All the Beauty and the Bloodshed, der Dokumentarfilm der amerikanischen Regisseurin Laura Poitras über die Künstlerin und Aktivistin Nan Goldin von 2022, erzählt zwei Geschichten über die Kunst. In der ersten Geschichte ist Kunst ein Instrument der Befreiung – der individuellen und der politischen Emanzipation. In der zweiten ist Kunst ein Instrument des »reputation laundering« und der Verschleierung von Verbrechen als Philanthropie. Es ist eine Schwäche des Films und zugleich seine größte Stärke, dass er den Widerspruch zwischen beiden Geschichten nicht aufzulösen vermag.

Ich sah den Film an einem warmen Frühsommerabend in einem Weimarer Programmkino, das in einem umfunktionierten Straßenbahndepot aus der Jahrhundertwende untergebracht ist. Auf der nächtlichen Fahrradfahrt nach Hause, ja noch am nächsten Morgen nach dem Aufwachen blieb mir Nan Goldins Stimme im Ohr. Neben ihren berührenden Fotografien ist es vor allem ihre Erzählstimme, die den biografischen Teil des Films trägt. Goldin, die in einem Vorort von Boston in komplizierten Familienverhältnissen aufgewachsen ist und schon mit vierzehn Jahren ihr Elternhaus verlassen hat, spricht langsam, eindringlich, wehmütig.

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