Heft 859, Dezember 2020

Das Innenleben des amerikanischen Kommunismus

von Corey Robin

Der Kommunist steht am Kreuzungspunkt zweier Ideen: eine antik, eine modern. Die antike Idee: Der Mensch ist ein politisches Wesen. Unsere Disposition zum Öffentlichen, unsere Orientierung nach außen führen dazu, dass wir gar nicht getrennt von der Polis gedacht werden können. Selbst wenn wir unsere Laster zu verbergen versuchen, benötigen wir – wie eine der Figuren ins Platons Staat anmerkt – die Unterstützung von »Geheimgesellschaften und politischen Vereinigungen«. So gegenwärtig sind wir für andere Menschen, so gegenwärtig sind sie für uns.

Die moderne Idee – die der Arbeit – setzt andere Werte voraus. Hier bietet Weber vermutlich eine bessere Richtschnur als Marx. Für die Kommunistin bedeutet Arbeit die Treue zur Aufgabe, eine Dranbleibelust, die Klarheit der Zwecksetzung ebenso fordert wie Ausdauer angesichts von Widerstand oder Herausforderung sowie die Ablehnung aller Ablenkung. Es handelt sich um mehr als nur die instrumentelle Anwendung körperlicher Kraft auf die materielle Welt oder die rationale Anpassung der Mittel an die Zwecke (für Aristoteles waren das so unwürdige Tätigkeiten, dass der Arbeiter in der Politik für ihn fast nicht in Betracht kam). Eine Berufung, eine Selbstoffenbarung. Der Kommunist fügt zum öffentlichen Leben der Alten die Methodik der modernen Arbeit hinzu. Sei in allem politisch, sagt die Kommunistin, sei in allen politischen Dingen produktiv. Alles darunter ist Eitelkeit. Wie die Alten blickt der Kommunist nach außen, aber der Imperativ, nur Dinge mit Wirkung zu tun, kommt von innen. Wirksamkeit ist eine Bestätigung seiner Integrität. Die große Sünde der Intellektuellen besteht nach Lenin darin, »dass sie alles Mögliche unter der Sonne beginnen, ohne irgendetwas zu Ende zu bringen«. Dieses Versagen sei symptomatisch für ihren Charakter – ihre »Schlampigkeit« und »Sorglosigkeit«, ihre Unfähigkeit, der Sache oder dem Anliegen, dem sie sich verschrieben haben, treu zu bleiben. Die Kommunistin macht es besser. Sie erledigt einfach den Job. 

Zu ihren besten Zeiten waren die Kommunisten die politischsten und die bewusstesten Menschen. Das machte sie oft zugleich zu den schreckenerregendsten, fähig zu Gewalttaten von unvorstellbarem Ausmaß. Seiner ruchlosen Zweckorientierung zum Trotz – und vielleicht gerade deshalb – enthält der Kommunismus für uns heute viele Lektionen. Eine neue Generation von Sozialisten, die meisten nach dem Kalten Krieg geboren, entdeckt die jeweiligen Schwierigkeiten von Parteien wie Bewegungen und die Implikationen des Engagements. So wird das Archiv des Kommunismus, besonders des amerikanischen Kommunismus, erneut relevant.

Wie auch zwei Kommentare zu diesem Archiv: Vivian Gornicks The Romance of American Communism, 1977 erstmals und nun wieder erschienen, und Jodi Deans Comrade. Ich habe Romance of American Communism erstmals im Sommer 1993 gelesen. Gornick hatte damals schon ihr vielbeachtetes Memoir Fierce Attachments und viele kritische Essays veröffentlicht. Allerdings war sie damals in erster Linie eine Schriftstellerin, die unter Kollegen bekannt war, in einem eher kleinen Zirkel begeisterter Leserinnen und Leser. Ich gehörte zu ihnen. Ich war Doktorand der Politikwissenschaft und lebte mit meiner Freundin, ebenfalls Doktorandin, in Tennessee. Sie arbeitete an einer Dissertation über Gemeinschaften in den Appalachen, die sich – oft genug erfolglos – gegen Fabrikschließungen verbündeten. Es lief dann auf eine Meditation über politisches Scheitern hinaus. Ich arbeitete an einer Doktorarbeit über die politische Theorie und Praxis der Angst von Hobbes bis zu McCarthy und dem Kalten Krieg. 

Man sieht schon an den Themen, dass es keine gute Zeit war für die Linke, nicht nur in Tennessee. Bill Clinton bewegte sich von der Defizitreduktion zum NAFTA-Freihandel. Einer meiner Betreuer erklärte mir am ersten Tag meines Doktorandenstudiums, dass Marxismus nur etwas für Antiquare sei. Keiner interessierte sich damals für eine vergriffene oral history des amerikanischen Kommunismus. Ich fand Gornicks Buch rein zufällig, in einem Antiquariat an einem Highway kurz hinter Knoxville, Tennessee, und während ich zu verstehen versuchte, wer die Kommunisten waren und warum sie dem amerikanischen Establishment einen solchen Schrecken einjagten, wurde mir klar, wie wenig sie mit den Stereotypen des Kalten Kriegs zu tun hatten, die, auch das verstand ich sehr schnell, meine eigenen waren. 

Glaubte man Schriftstellern aus der Jahrhundertmitte wie Lionel Trilling und Arthur Koestler, waren Kommunisten tote Seelen, die sich einer fremden Macht ausgeliefert hatten, nicht um der Gerechtigkeit oder der Veränderung willen, sondern um sich der Last der Individualität und Verantwortung zu entziehen. Kommunismus war eine Evakuierung des Selbst, eine Flucht vor der Freiheit. Obwohl viele dieser Autoren selbst Kommunisten gewesen waren – vielmehr: vermutlich weil sie Kommunisten gewesen waren –, konnten sie im Rückblick die gelebte Erfahrung der Menschen nicht mehr rekonstruieren. Stattdessen erfanden sie eine Form, die Autobiografie eines Ex-Zombies, in der eine von außen beschriebene Verwüstung eine innere Verwüstung offenbart, als wollten sie, so formuliert es Gornick im ersten Kapitel ihres Buchs, der Leserschaft sagen: »Ich schmecke die Asche, aber kann mich an die Flamme nicht mehr erinnern.» 

Gornick wusste, was sie mit Romance vorhatte. Sie wollte diese Flamme neu entzünden, nicht der Wärme wegen, sondern zur Erhellung, um die Wahrheit über die kommunistische Erfahrung, wie sie sich als gelebte anfühlte, dem intellektuellen Obskurantismus des Kalten-Kriegs-Liberalismus zu entreißen. An die Stelle von verständnisloser Ablehnung und Entmenschlichung träten Menschlichkeit und Anerkennung; statt Zombies gäbe es ein Individuum, eine Person, »die im Licht ihrer politischen Vision menschlicher gemacht wurde, als sie es sich hätte träumen lassen«.

Die von Gornick gewählte literarische Form schien selbst dem Kalten Krieg entnommen: Literarische Profile von mehr als vierzig Kommunistinnen und Kommunisten, in denen sehr unterschiedliche Männer und Frauen (»Sie kamen von überall her« ist der Titel eines der ersten Kapitel) in ihren eigenen Worten (oder Gornicks Version ihrer Worte) seitenlang über sich sprechen. In der Verbindung von bekenntnishaftem Ton und auktorialer Präsenz konnte man das Buch entweder als zum New Journalism der 1960er und 1970er Jahre gehörig begreifen (Hilton Kramer nannte es ein »ganz besonders abscheuliches« Beispiel dafür) oder als Vorläufer der Sozialgeschichten der kommunistischen Partei, die in den achtziger Jahren erschienen und den Kommunismus vor dem umfassenden Unverständnis der Nachgeborenen retten wollten. Der einzige Weg aus dem Kalten Krieg, schien Romance zu sagen, besteht darin, sich durch ihn durchzuarbeiten. Und das war es, was Gornick zu bieten hatte: eine Passage durch einen und den Ausweg aus einem langen und einsamen Korridor des Geistes. 

Heute liest sich Gornicks Buch wieder anders, weniger an die Genres und Anliegen des Kalten Kriegs gebunden. Ihr Versuch, die kommunistische Erfahrung zu rekonstruieren, erscheint weniger als eine Rettungsaktion für das Individuum denn als eine Rekonfiguration des Individuums im klassischen Sinn. Ein ehemaliger Kommunist erzählt ihr zum Beispiel, dass es in der Partei wenig um das Privatleben ging; es gab nur die Politik. Aber obwohl er so gut wie nichts über das Leben seiner Kameraden wusste, »fühlte er eine Intimität« mit ihnen, die er »nie wieder fühlen wird«. Es ist klar, was das heißt: Die Mitglieder der kommunistischen Partei mögen keine Berichte aus ihrem Inneren geliefert haben, aber durch ihre Handlungen, durch die Täglichkeit ihres gelebten Einsatzes haben sie sich doch offenbart. Auch wenn sie sich der Eigenheiten der Psyche bewusst waren – ein Kommunist berichtet Gornick: »Die Partei hielt gar nichts von Freud, aber in der Bronx sagen wir ›schon klar, aber deine Mutter ist trotzdem wichtig‹« –, war das Leben des Kommunisten eine öffentliche Konfession. »Erst in ihrem politischen Engagement«, sagt ein anderer Kommunist, »habe ich andere als reale Menschen begriffen.«

Ein solches Zeugnis erinnert an die Literatur der griechischen Antike, in der der Charakter durch die politische Handlung erst einmal offenbart, nicht zerstört wird. Und wenn der Charakter durch Politik zerstört wird, dann nicht, weil der Handelnde rücksichtslos nach Ganzheit suchte, wo es keine Ganzheit gibt, wie von so vielen liberalen Antikommunisten behauptet. Die Politik ist eine Druckkammer für das Individuum, das ist der Grund. In dieser Druckkammer ringen wir mit unseren nie eindeutigen Pflichten den Anderen gegenüber, bewältigen Scheitern und Verlust, imaginieren und ehren die Präsenz der Anderen und ringen darum, das, was ist, von dem, was sein muss, zu unterscheiden – das alles ohne die schützende Wärme der Privatheit, ohne sichere Räume für Experiment und Irrtum.

Unsere täglichen tastenden Versuche unternehmen wir im hellsten, nichts verbergenden Licht. Der Druck ist enorm; die Einsicht kann blenden. »Die kommunistische Erfahrung hat epische Ausmaße, sie regt an zu Schauder und Mitleid«, schreibt Gornick. »Sie ist eine Metapher für Angst und Begehren im ganz großen Maßstab, wir lernen immer nur mehr darüber – nie weniger –, was es heißt, ein Mensch zu sein.« Ihr Titel spricht vom Romanzenhaften, aber es geht im Buch auch um das Tragische. Sogar Gornicks Wahl der Pseudonyme hat etwas fast Archaisches: Was während des Kalten Kriegs ein Bemühen um den Schutz der Anonymität all jener schien, die von der Schwarzen Liste bedroht oder deren Existenz durch sie zerstört werden konnte, tritt nun auf als Galerie der Archetypen, mit klingenden Namen wie Blossom Sheed oder Belle Rothman, deren Leiden weniger singulär und deren Wissen (oder deren gescheiterter Versuch, zu Wissen zu gelangen) weniger persönlich erscheint. 

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