Das Scharnier – Neuer Konservatismus und Neue Rechte
von Markus LindenIm Oktober 2017 veröffentlichten zwölf konservative europäische Intellektuelle eine »Pariser Erklärung«.1 Zu den Unterzeichnern gehörten der polnische Philosoph und PiS-Politiker Ryszard Legutko, der von der Fidesz-Regierung begeisterte ungarische Universitätsrektor András Lánczi2 sowie die inzwischen verstorbenen Robert Spaemann und Roger Scruton. In 36 Punkten werden die vermeintlichen Defizite des liberalen Westens aufgelistet. Die Autoren fordern ein »wahres Europa«, »soziale und kulturelle Hierarchien« und die »Assimilation« von Migranten. Gegen die »Tyrannei des falschen Europas« wird ein altbekanntes Instrument der Machtpolitik ins Spiel gebracht – die personalisierte Führerschaft.
In verschwörungstheoretisch angehauchter Rhetorik heißt es unter Punkt 26: »Um den Bann des falschen Europas und seinen utopistischen, pseudoreligiösen Kreuzzug für eine entgrenzte Welt zu brechen, braucht es eine neue Art der Staatskunst und eine neue Art von Staatsmann. Ein guter politischer Anführer steht für das Gemeinwesen einer bestimmen Gruppe Menschen ein. Ein guter Staatsmann erkennt unser gemeinsames europäisches Erbe und unsere nationalen Traditionen als wunderbar und lebensspendend an […] solche Politiker gieren nicht nach dem Applaus der ›internationalen Gemeinschaft‹, die tatsächlich nur die PR-Abteilung einer Oligarchie ist.«
Anfang Februar 2020 war dann in Rom zu beobachten, dass dieser Neue Konservatismus, der von dem der gewaltsam demokratieexportierenden amerikanischen Neocons zu unterscheiden ist,3 seinen Leader längst gefunden hat. Auf der seit 2019 bereits dritten »National Conservatism Conference« war Ungarns Regierungschef Viktor Orbán der Stargast. Im Plaudertalk mit dem ehemaligen Reagan-Vertrauten Christopher DeMuth erklärt Orbán die liberale Demokratie für gescheitert und beendet, stattdessen müsse eine »illiberale«, »postliberale« oder »christliche Demokratie« errichtet werden.4 Das Publikum war angetan.
Ein Blick ins Konferenzprogramm zeigt, wie weit die Allianzen reichen. Die polnische Botschafterin in Italien sprach ein kurzes Grußwort.5 Längere Beiträge lieferten etwa Ryszard Legutko, der britische Journalist Douglas Murray, der israelische Philosoph Yoram Hazony, der amerikanische Autor Rod Dreher sowie Giorgia Meloni, die Vorsitzende der noch rechts von Salvinis Lega stehenden postfaschistischen italienischen Partei Fratelli d’Italia. Dem nationalen Konservatismus der »wahren Demokraten« stehe die globalistische Ideologie der »falschen Demokraten« gegenüber, so Meloni.6 In ihrer Rede pries sie Orbán und den polnischen PiS-Parteiführer Jarosław Kaczyński. Zum italienischen Faschismus und zu Mussolini äußert sich Meloni weniger eindeutig. Sie distanziert sich jedenfalls nicht, denn schließlich, so Meloni im Jahr 2018, liege die Zeit lange zurück.7
Offiziell traf sich die Speerspitze der selbsternannten konservativen Intelligenz aus Europa und den USA in Rom, um über Ronald Reagan und Papst Johannes Paul II. zu reden. Propagiert wurde dann aber ein ethnopluralistisch-nationaler Chauvinismus ohne positiven Demokratiebezug. Überraschen kann dieser Fokus nicht, wenn man auf die zahlreichen neueren Veröffentlichungen des Spektrums blickt. Der hier versammelte Neue Konservatismus ist nicht mehr nur Vorhof, sondern längst Teil der radikalen Neuen Rechten. Er tritt bieder und distinguiert auf und erfüllt gerade so eine Scharnierfunktion zwischen dem demokratischen und dem undemokratischen Lager.
Die Argumente greifen dabei verlässlich auf die zentralen ideologischen Elemente neurechten Denkens und neurechter Agitation zurück. Den Liberalen begegnet man nicht mit Konkurrenz, sondern mit Hass. Propagiert wird das populistische Narrativ von der Fremdbestimmung durch eine geschlossene globale Elite. Die totalitär gewordene liberale Demokratie führe, wenn man sie nicht aufhalte, zum Untergang unserer Zivilisation. Folglich befinde man sich in einer Notwehrsituation, die den nationalistischen Widerstand erfordere beziehungsweise legitimiere. Individualrechtlich fundierte Demokratie und Gewaltenteilung werden, wenn überhaupt, lediglich instrumentell affirmiert. Letztlich hält man sie für obsolet, da sie dem Ziel der nationalkulturalistischen Homogenität entgegenstehen.
Gegen die liberale Demokratie
Wie für rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien fungiert »das liberale Establishment« auch als Feindbild des Neuen Konservatismus. Liberalenbeschimpfung lautet der Titel einer klassischen Schrift von Armin Mohler, der zentralen Gründungsfigur der Neuen Rechten im deutschsprachigen Raum.8 Die radikale Ablehnung liberalen Denkens hatte Mohler von Carl Schmitt übernommen. Heute finden wir sie beispielsweise bei Ryszard Legutko, dem der PiS-Partei angehörigen Vorsitzenden der Fraktion Europäische Konservative und Reformer im Europäischen Parlament. In seinem Buch Der Dämon der Demokratie offeriert er eine Liberalenschelte, die Denkfiguren von Mohler und Schmitt in die Gegenwart überträgt.
Legutko argumentiert, der Liberalismus habe die staatlichen Institutionen, die eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtet seien, zu Vertretern von Gruppeninteressen werden lassen.9 Daraus ließe sich prinzipiell auch eine republikanische Position entwickeln. Legutko zieht es aber vor, die liberale Demokratie grundsätzlich zu delegitimieren, indem er sie mit dem totalitären Kommunismus gleichsetzt. Vor 1989 war es die Einheitspartei, heute habe eine liberale Elite mit ihren Mehrheiten die parlamentarischen Institutionen gekapert und die Bevölkerung indoktriniert. So sei eine Tyrannei entstanden, die sich auf juristische Willkür stütze.
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