Heft 859, Dezember 2020

Die Zukunft der Gefängnisse

von Felix Ackermann

Am Ufer der Newa steht seit drei Jahren das größte Denkmal des Großen Terrors im Leningrad der Jahre 1937 und 1938 leer. Das Kresty-Gefängnis mit den markanten Backsteingängen in Kreuzform ist in St. Petersburg der Inbegriff staatlichen Terrors gegen die eigene Bevölkerung. Während der stalinistischen Säuberungen saßen in dem für 1150 Insassen geplanten Bau mehr als 10 000 Gefangene, viele wurden nach ihrer Verurteilung als Volksfeinde verschleppt und ermordet. 2017 wurde in Kolpino nahe St. Petersburg Kresty II fertiggestellt – mit Zellen für 4000 Häftlinge eine der größten Haftanstalten Europas. In Erinnerung an das Original bildet der Grundriss des achtstöckigen Hochhauses am Stadtrand ebenso ein Kreuz mit einem runden Mittelbau. Seither steht das historische Gebäude an der Newa leer, weil jede Nachnutzung eine Antwort auf die Frage geben müsste, wie im Russland des 21. Jahrhunderts mit der Gewaltgeschichte dieses Orts umgegangen werden soll.

Noch 2013 hatten die in Kresty festgehaltenen Mitglieder der Band Pussy Riot nach ihrer Entlassung von Zwangsarbeit und schlechten Haftbedingungen berichtet. Eine Mitarbeiterin des Moskauer Instituts für Strafvollzugsgeschichte am Justizministerium sagt über die Nachnutzung von Kresty: »Wir lagern dort derzeit vor allem Unterlagen und nutzen einen Teil der Zellen als Büroräume.« Dabei wurde das Gebäude 1890 als Visitenkarte eines zivilisierten und modernen Russland rechtzeitig zum Internationalen Strafvollzugskongress in Betrieb genommen, um aller Welt zu zeigen: Russland ist eine Lokomotive des Fortschritts in der Modernisierung des Strafvollzugs.

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