Ein Kampf um Potsdam
Vergangenheit zwischen Aufklärung und Austreibung von Martin SabrowVergangenheit zwischen Aufklärung und Austreibung
Schon der Klang des Ortsnamens »Potsdam« löst widersprechende Assoziationen aus, und seine vielfache historische Besetzung tut es zumal. Friedrich der Große und Karl Liebknecht, Sanssouci und Exerzierplatz, preußisches Sparta gegen Spree-Athen: Potsdam war seit seinem Aufblühen als preußische Residenzstadt ein Ort der Zuschreibungen und Bemächtigungen. Nach 1918 unterschied man zwischen den Weimar-Deutschen und den Potsdam-Deutschen, Erstere standen für die Deutsche Republik, Letztere für das Deutsche Reich, die einen für den Fortschritt, die anderen für die Reaktion. Kein Ereignis versinnbildlicht den Streit um Potsdams Symbolbedeutung so sehr wie der »Tag von Potsdam« am 21. März 1933, als der nationalkonservative Reichspräsident Hindenburg seinem nationalsozialistischen Reichskanzler Hitler die Hand reichte; und kein Gebäude steht gegenwärtig stärker im Zentrum der Auseinandersetzung um die Vergangenheit der Stadt als das Phantom eines Bauwerks, das nur mehr in der Erinnerung existiert: die Potsdamer Garnisonkirche.
Die um sie geführten Kontroversen verdanken sich der besonderen Bau- und Nutzungsgeschichte des im frühen 18. Jahrhundert erbauten Gotteshauses, das in seinem Figurenschmuck die Verbindung von Thron und Altar zur Schau stellte und als Grablege der beiden bedeutendsten Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. diente. Dank ihrer architektonischen Gestaltung als ein Meisterwerk des Spätbarocks angesehen und zugleich als preußischer Ruhmestempel verehrt, wahrte die Kirche ihren besonderen Nimbus als herausragendes Symbol der Hof- und Militärstadt Potsdam, bis eine Bombennacht im April 1945 sie in eine rauchgeschwärzte Ruine verwandelte. 1968 gesprengt und zu Bauschutt zermahlen, machte sie dem Zweckbau eines Datenverarbeitungszentrums des VEB »Maschinelles Rechnen« für die Industrie im Bezirk Potsdam Platz, bevor sie nach 1990 zu einem erst als Heilung einer zerstörten Stadtsilhouette weithin begrüßten, dann aber immer heftiger umstrittenen Wiederaufbauprojekt mutierte.
Nach dem Willen des Bauherrn war die Kirche, deren martialische Bildsprache die Einheit von Mars und Minerva beschwor, nicht nur zum Gotteslob bestimmt, sondern versinnbildlichte noch in der Gestalt der sie krönenden Wetterfahne und ihrer Inschrift »Nec soli cedit« zugleich die Maximen des preußischen Absolutismus. Mit dessen Untergang wandelte sie sich zu einem Erinnerungsort, an dem sich der vielstimmige Umgang mit der Vergangenheit seit zwei Jahrhunderten ablesen lässt. Den Auftakt machte der Mann, der sich in der Tradition Friedrichs II. sah, als er Preußen schlug. Ergriffen suchte der französische Kaiser Napoleon nach seinem Sieg bei Jena und Auerstedt am 25. Oktober 1806 die Nähe Friedrichs des Großen und eilte, kaum in Potsdam angekommen, in die Krypta der Potsdamer Garnisonkirche. Doch vor dem schmucklosen Sarg des Preußenkönigs sah er sich unerwartet mit der raschen Vergänglichkeit des Herrscherruhms konfrontiert, wie er tags darauf im Bulletin der Grande Armée festhielt: »Die Überreste dieses großen Manns sind in einem hölzernen, mit Kupfer bedeckten Sarge aufbewahrt, und in einem Gewölbe, ohne Zierrath und Trophäen, ohne alle Auszeichnung, welche an die großen Thaten dieses Mannes erinnern könnten, beigesetzt.« Enttäuscht über den gleichgültigen Umgang mit einem ihm ebenbürtigen Genius verließ er die Krypta und suchte der Sorge um den eigenen Platz im Pantheon der Weltgeschichte mit einem trotzigen »Wenn man auch todt ist, so ist doch der Ruhm unsterblich! Herr zu werden.«
Nur wenige Jahre später hielt die Ruhmseligkeit in der Garnisonkirche allerdings doch Einzug. Nach den Befreiungskriegen im frühen und wieder nach den Reichseinigungskriegen im späten 19. Jahrhundert nahm sie die feierlich geweihten Kriegstrophäen der preußischen Armee auf und entwickelte sich auf diese Weise zu einer Art Walhalla des preußisch-deutschen Aufstiegs zur europäischen Großmacht. Als steif-grenadierhaftes Symbol des Militärstaats Preußen sah sie 1869 Theodor Fontane, als mahnendes Relikt einer großen Vergangenheit nahm sie nach 1918 der national gesinnte Besucher Potsdams wahr. 1933 dann der symbolträchtige Händedruck von Hindenburg und Hitler, der sich tief in das Gedächtnis der Deutschen eingebrannt und der Potsdamer Garnisonkirche neue und bis heute mit ihr verbundene Bedeutung verliehen hat. Nach 1945 wiederum blieb das Schicksal der brandgeschwärzten Kirchenruine, in deren Turmfoyer wieder Gottesdienste gehalten wurden, jahrzehntelang in der Schwebe, weil sie dem sozialistischen Wiederaufbaugedanken ebenso stark widersprach, wie sie ihm historische Legitimation lieferte: »Gespenstisch, aber mahnend zugleich erhebt sich, neben dem Neuen, noch gleichermaßen als Zeuge der finsteren Vergangenheit, die Ruine jener Stätte, in der 1933 die Hitlerfaschisten in den Sattel gehoben wurden«. Den schließlich gegen beträchtlichen örtlichen Widerstand gefassten Abrissbeschluss begründete die SED 1968 am Ende pragmatisch mit dem Platzbedarf eines fortschrittsverbürgenden Funktionsgebäudes im sich abzeichnenden Computerzeitalter und den Bedürfnissen des Straßenverkehrs; in welchem Maß sich dahinter ideologische Beweggründe verbargen, wird bis heute kontrovers diskutiert.
Von westlicher Seite wurde der Kirchenabriss als aus Preußenhass geborene Barbarei beklagt, und aus diesem Denken heraus entwickelte sich noch vor der deutschen Vereinigung eine bundesdeutsche Wiederaufbauinitiative. Ihr offensives Eintreten für die Erneuerung der Garnisonkirche als »Symbol für das christliche Preußen« wurde zum Ausdruck einer nationalkonservativen Gedächtnispflege, der es nicht nur um die architektonische Rückgewinnung eines Meisterstücks preußischer Barockarchitektur ging, sondern dezidiert auch um soldatische Traditionspflege in einer preußischen Militärkirche, deren Glockenspiel in halbstündiger Abwechslung Lobe den Herren und Üb’ immer Treu und Redlichkeit intonierte.
Wiederaufbau im Widerspruch
Im Konzept einer originalgetreuen Wiederherstellung der bis zum letzten Fundamentstein abgetragenen Kirche begegnete dieses rückwärtsgewandte Restaurierungsbegehren allerdings der historischen Authentizitätssehnsucht unserer Zeit, die im Bewusstsein des radikalen Gegensatzes von Gestern und Heute die unmittelbare Begegnung mit der Vergangenheit anstrebt, ohne diese jedoch zurückzuwünschen; das unterscheidet sie von reaktionärer Nostalgie. Seinen institutionellen Ausdruck fand dieses Verlangen nach dem Authentischen in der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche, die in betonter Abgrenzung von der auf reaktionäre Preußenverehrung zielenden Ursprungsinitiative jeden nationalkonservativen Anstrich zu vermeiden sucht. Vielmehr nahm sie eine dezidierte symbolpolitische und entmythisierende Umwertung vor, die sich gegen die »Darstellung des Krieges als legitimes Mittel der Politik« wendet und im Inneren der Kirche weder »Fahnen noch andere militärische Traditionsgegenstände«, sondern »eindeutige Absagen an Krieg und Gewalt« präsentieren will.
Von diesem Ringen um geschichtspolitische Deutungshoheit unbeeindruckt, strebt der vom Bund und zahlreichen Spendern getragene Neubau des Turms seit 2020 stetig in die auf fast 90 Meter geplante Höhe. Längst bildet er eine markant in Potsdams westliche Ausfallstraße hineinragende Höhendominante; es wird auch schon an einer Dauerausstellung gearbeitet, die den umstrittenen Erinnerungsort dauerhaft im Gedächtnis zu halten verspricht.
Der Gegnerschaft hat diese Kraft des Faktischen allerdings keinen Abbruch getan; immer härter wurde in den letzten Jahren die Auseinandersetzung um die Rekonstruktion des von Christoph Dieckmann sogar für »gotteslästerlich« erklärten Sakralbaus. Die Gegner des Kirchenneubaus erkennen in der originalgetreuen Nachbildung eines Ortes, an dem nach dem Untergang der Weimarer Republik die Versöhnung von »alter und junger Macht« zelebriert wurde, den organisierten Vorstoß einer reaktionären Denkschule, die mit borussischen Nachbauten und historischen Neuinterpretationen Preußen rehabilitieren und dem Geist von Potsdam neues Leben einhauchen wolle.
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