Heft 850, März 2020

Männerkörper und Textfantasien

»Männerphantasien«, literaturwissenschaftlich gelesen von Carolin Amlinger

»Männerphantasien«, literaturwissenschaftlich gelesen

Als Klaus Theweleits Männerphantasien vor vierzig Jahren bei Stroemfeld /Roter Stern erschien, artikulierte die Studie ein neues Bedürfnis von Männern, ihre eigenen Anteile an den postfaschistischen Herrschaftsverhältnissen zu reflektieren.1 Mit der Frauenbewegung der 1970er Jahre setzte ein neues Nachdenken über Kapitalismus und Geschlecht ein, das Private war politisch, die Sphäre der kapitalistischen Produktion mit jener der häuslichen Reproduktion verknüpft. Emanzipatorische Politik hieß für linke Männer, den unbewussten Machtmechanismen in sich nachzuspüren, die nicht nur gegen Frauen, sondern auch dem eigenen Geschlecht gegenüber repressiv wirkten.2

Die nun publizierte Neuauflage der Männerphantasien im Verlag Matthes & Seitz fällt in eine Zeit, in welcher der Feminismus erneut Konjunktur hat. Die MeToo-Bewegung hinterfragt tradierte Männlichkeitsbilder, macht die Alltäglichkeit sexualisierter Gewalt sichtbar und zeigt, dass Macht nach wie vor männlich strukturiert ist. Männer sind derzeit zweifelsohne die kulturellen Modernisierungsverlierer, der Autor Jens Balzer spricht gar von einer »flächendeckenden Verwahrlosung«.3

Die Männerbewegung, die sich im digitalen Netz formiert, unterscheidet sich grundlegend von den Gruppen, in denen sich Männer in den späten 1970er Jahren mit der Lektüre der Männerphantasien selbstkritisch austauschten: Männlichkeit wird hier von rechts neu gedacht. Gerade der soziale und ökonomische Statusverlust von Männern ist es, der, wie die amerikanische Philosophin Kate Manne in ihrer 2019 auf Deutsch erschienenen Studie Down Girl. Die Logik der Misogynie rekonstruiert, zu einer neuen Ausbreitung des Frauenhasses führt. Der gekränkte Mann avanciert zu einem wirkmächtigen Männerbild unserer Zeit. Maskulinisten und selbsternannte Männerrechtler sehen sich im Angesicht des Gender Mainstreaming benachteiligt und zu Unrecht des Sexismus beschuldigt.

Incels, laut Selbstbezeichnung Opfer des involuntary celibacy, eines unfreiwilligen Zölibats, tauschen im Netz Gewaltfantasien gegen Frauen und Minderheiten aus. In der digitalen Männerbewegung ersetzt das Selbstmitleid die Selbstfindung, ein beschworener Opfergestus die Reflexion über eigene Täterschaft und die Naturalisierung von dichotomen Geschlechterrollen die Pluralität geschlechtlicher Lebensformen. Kurz: Der männliche Aktivismus der Gegenwart ist antifeministisch, aggressiv und rassistisch.

Der Text als Körperzustand

Wie können die Männerphantasien unter dem veränderten politischen Koordinatensystem gelesen werden? Eine Antwort erwächst aus dem, was Theweleit in seinem Nachwort zur Neuauflage als den »politischen Kern des Buchs« bezeichnet: seiner Textform.4 Auch wenn die Studie seinerzeit als literaturwissenschaftliche Dissertation an der Universität Freiburg eingereicht wurde, bricht sie mit den Standards akademischer Sprache. Der Text arbeitet sich assoziativ an den frauenfeindlichen und soldatischen Imaginationen deutscher Freikorpsliteratur ab, er versenkt sich seitenlang in die fiktiven Textwelten, um sich dann zu einer theoretischen Verdichtung zusammenzuziehen.

Dabei verfährt der Autor hochgradig subjektiv: Er schreibt seine unmittelbaren Lektüreerlebnisse nieder und reflektiert dabei seine eigene Biografie. Die zahlreichen Fotos, Bilder und Comics, die wahllos in den Text eingefügt scheinen, ihn eher fragmentieren statt illustrieren, werden weder kontextualisiert noch kommentiert. Sie stehen neben dem Text und sprechen eine eigene Deutung aus. Die Männerphantasien entsprechen dem, was der Kulturhistoriker Philipp Felsch als das »unordentliche Layout der Postmoderne« bezeichnet:5 Das ungebundene Material sollte gegenüber dem Logozentrismus der Moderne einen neuen Zugang zur Realität, ja eine neue Erkenntnisform freisetzen.

Was dem Buch zu seiner großen Popularität verhalf und gleichzeitig in universitären Kreisen zu einer bis heute anhaltenden Missachtung führte, war der andere Ton, mit dem Theweleit von seinem Gegenstand sprach.6 Dabei wollten die neuen Schreibweisen, die sich Ende der siebziger Jahre in linken Kreisen etablierten, nicht bloß leger daherkommen, sie hatten Methode. Theweleit betont, dass er das Material abbilden wollte, wie es in der innerpsychischen Realität vorliegt, chaotisch und ungeordnet, nicht anhand eines künstlichen Kategorienapparats. Darum sucht »die Schreibweise des Buchs […] nach einer Sprache, die die Verbindung zu lebendigen Körpern, dem eigenen und den Körpern der Anderen, nicht kappt«. Eben das ist das Politische der Form.

In seiner Nachbemerkung zur Erstauflage, die ursprünglich die Dissertation methodisch einordnete, kritisiert Theweleit die damals populären marxistischen Faschismusanalysen, welche die Funktion des Nationalsozialismus entweder aus einem »Primat der Politik« (wie Friedrich Pollocks These vom autoritären Staatskapitalismus) oder einem »Primat der Industrie« (wie die Arbeiten von Eberhard Czichon zur Rolle der Großindustrie beim Aufstieg der NSDAP) ableiteten. Die Männerphantasien wollten tiefer ansetzen, bei den Wünschen und Affektzuständen der Männer, um die Attraktivität des Faschismus zu verstehen: »Ein Verständnis dieser quasi ›freiwilligen‹, lustvollen Feier der Gewalt und der lustvollen Gewaltausübung selbst hat mich interessiert: Die Frage nach dem psycho-physischen Gewinn, den eine bestimmte Destruktivität bestimmten Männern einbringt.«

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