Heft 912, Mai 2025

Postliberalismus und Elitentausch

von Albrecht Koschorke

Wer sich einen Reim auf das Geschehen in den USA machen will, dem könnte Patrick J. Deneens politisches Manifest Regime Change von 2023 als das Buch der Stunde erscheinen.1 Nicht zufällig wird dieser Autor inzwischen auch in Deutschland verstärkt rezipiert – sei es in zeitdiagnostischer Absicht oder sei es, wie jüngst im Merkur durch Birger Priddat, um die ins Wanken geratenen Fundamente unserer politischen Ordnung im weit ausgreifenden Rekurs auf Aristoteles’ Typenlehre der Staatsverfassungen neu zu bestimmen.2

Deneen, katholisch-konservativer Vordenker der US-amerikanischen Rechten, hatte schon einige Jahre zuvor (Why Liberalism Failed, 2018) das Ende der liberalen Ära verkündet. Das neue Buch zieht daraus die Konsequenzen. Der »Tyrannei« des liberalen Establishments, das sich aller einflussreichen Positionen in Politik und Gesellschaft bemächtigt habe, ist Deneen zufolge nur durch einen radikalen Elitentausch beizukommen. An die Stelle der »korrupten und korrumpierenden herrschenden Klasse« müsse eine neue, von einer hohen Moral getragene »Aristokratie« treten, die sich endlich wieder der Anliegen und Nöte der einfachen Leute annehme. Den liberalen Fortschrittsfanatismus, der nur die Eliten begünstige und dazu verleite, die Mehrheit der Menschen im Land als rückständig zu verachten, will Deneen durch eine Wiederbesinnung auf das Gemeinwohl in konservativem Geiste abgelöst wissen. Wo nach Jahrzehnten der Globalisierung und offener Grenzen Verarmung, Überfremdung und Depression herrschen, soll der American Way of Life alter Prägung wieder zur Geltung gelangen. Gegen den Katalog des Niedergangs bietet der Professor aus Chicago Altbewährtes auf: Familie, Gemeinschaft, Nation, Religion.

In vielem liest sich Deneens Programm als eine Vorschau auf das, was derzeit von der Trump-Administration verlautbart und umgesetzt wird. Direkten Einfluss übt er auf Trumps Vize J. D. Vance aus. Dessen Äußerungen zu Europa, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 14. Februar 2025 wie eine Bombe scheinbar aus heiterem Himmel einschlugen, hätte man fast wortgleich schon im letzten Herbst in einem Interview lesen können, das Deneen mit der Zeitschrift Cicero geführt hatte.3

Die größte Gefahr für die Demokratie in Westeuropa, heißt es da, komme nicht von Trump, sondern aus Brüssel; von dort aus werde die nationale Souveränität der Völker Europas beschränkt, wofür der Umgang mit einem demokratisch gewählten Führer wie Viktor Orbán beispielhaft sei. Überhaupt Europa: ein verkümmerter Kontinent, politisch uneins, ökonomisch im Niedergang, militärisch bedeutungslos, moralisch depraviert und seiner spirituellen Substanz verlustig gegangen. Am Ende würden aber, meint Deneen, nicht nur die USA, sondern auch Europa durch Trump und seinen Plan, das amerikanische Imperium zurückzubauen, wieder gesunden.

Zangenangriff der Rechts- und Linksliberalen auf das »Volk«

In der Sichtweise Deneens hat der Liberalismus von zwei Richtungen her eine an Despotie grenzende gesellschaftliche Vormachtstellung errungen. Ökonomisch bereitete er das Feld für global operierende Konzerne, die auf die Bevölkerung im eigenen Land keine Rücksicht mehr nehmen. In ihrer Kritik an corporate America bedient sich die Revolution von rechts hier eines linken, teilweise sogar marxistisch klingenden Vokabulars. Ihr konservatives Profil schärft sie hingegen in der Frontstellung gegen die zweite, nämlich kulturelle Erscheinungsform des Liberalismus. Dieser Linksliberalismus, der sich sozial und fortschrittlich gibt, hat in den Augen seiner Gegner die totale Kontrolle über die Bildungsinstitutionen und den öffentlichen Diskurs übernommen. Wie die »managerial class« sind seine akademischen Wortführerinnen kosmopolitisch eingestellt und huldigen einem sozialschädlichen, durch ihren mobilen Lebenszuschnitt ortlos gewordenen Individualismus. Zwar verfolgen sie scheinbar egalitäre Ziele, halten aber in Wahrheit an ihren Standesprivilegien fest. Während sie sich mit der für sie typischen Militanz eines guten Gewissens zu Fürsprechern aller möglichen Minderheiten erklären, blicken sie auf die Mehrheit der einfachen Menschen im eigenen Land mit Verachtung herab. Dadurch treiben sie die gesellschaftliche Spaltung voran.

Folgt man dieser Kritik, so gelangt man zu einer radikalen, dem Augenschein widersprechenden Konsequenz. Vorhandene weltanschauliche Gegensätze zwischen Wirtschaftsliberalen und Linken täuschen dann nur darüber hinweg, dass es sich in Wahrheit um zwei Flügel des liberalen Establishments handelt, die letztlich die gleiche Agenda verfolgen. Unvermutet finden sich Verfechter von »social justice« in die unliebsame Nachbarschaft neoliberaler Deregulierer gerückt. Big Business und neoliberales Unternehmertum auf der einen, wokeness, identity politics und Selbstverwirklichungshedonismus auf der anderen Seite reichen sich in diesem Szenario ideologisch die Hand, so unterschiedlich sie in ihrer jeweiligen Stoßrichtung scheinen.

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