Heft 898, März 2024

Rechtskolumne

Das Land der Daseinsvorsorge – eine Nachlese zu den Bauernprotesten von Florian Meinel

Das Land der Daseinsvorsorge – eine Nachlese zu den Bauernprotesten

Die Proteste der Bauern, die Anfang Januar in einer »Aktionswoche zu Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung«, in der auch die Bahn streikte, die Zufahrtsstraßen deutscher Städte und Autobahnauffahrten im ganzen Land blockierten, waren leicht als verfremdende Aneignung der Protestformen der Letzten Generation zu erkennen. Schnell wurde darauf hingewiesen, wie hart und hasserfüllt öffentliche Meinung und Justiz mit den Klimaklebern verfahren waren und wie groß die Sympathie für die Landwirte ausfiel. Solidaritätsadressen für die Bauern von SPD-Ministerpräsidenten über die Unionsparteien bis zur AfD und den Freien Wählern. Dabei liegt der Unterschied auf der Hand: Wer eine Straße mit einem Fahrzeug blockiert, tut etwas Systemgerechtes und reproduziert einen Mythos des Alltags (»Stau«), während sich systemfremd verhält, wer dieselbe Blockade mit dem Körper allein bewerkstelligt.

Gerade die Protestparteien, die um die Gunst der Bauern buhlen, waren eilig zur Stelle, die Stilllegung der Verkehrsachsen, die Übernahme der erprobten Konfliktstrategie von Klimaklebern und GDL durch den Bauernverband, als konservative Revolution des abgehängten Landes gegen eine vermeintliche urbane Dominanz der Politik zu deuten. Die Kopie der politischen Formensprache der Linken durch rechte Bewegungen hat schließlich vom europäischen Faschismus bis zur Identitären Bewegung und den sozialen Medien eine lange Geschichte.

In einem wahrhaft finsteren Interview in der FAZ vom 5. Januar 2024 erklärte Hubert Aiwanger die Proteste zu einer politischen Notwehr gegen die Zerstörung des Eigentums und »konservativer Strukturen, die die Bauern aufrechterhalten«. Die AfD witterte Blut, Generalstreik, Umsturz – über das Lokführerprinzip zurück zum Führerprinzip. Etwas vorschnell, zeigte sich. Der in Genf lehrende Politikwissenschaftler Lukas Haffert hat kürzlich im sozialen Netzwerk Bluesky darauf hingewiesen, dass die symbolische Bedeutung der Landwirtschaft ihre materielle auch insoweit weit übersteigt. Einerseits ist die Landwirtschaft in der Bundesrepublik selbst in ländlichen Regionen kein nennenswerter Wirtschaftsfaktor. Ländlicher Raum heißt nicht mehr automatisch Landwirtschaft. Andererseits ist der sozialgeografische Stadt-Land-Unterschied insgesamt eher schwach ausgeprägt. So sind nicht wenige Stützen der deutschen Exportindustrie im ländlichen Raum etwa des Sauerlands oder Baden-Württembergs beheimatet. Paradoxerweise scheint sich aber, wie die Proteste zeigen, gerade deswegen der selbständige Landwirt besonders gut als Identifikationsfigur einer Politik zu eignen, die relativ unspezifisch Unzufriedenheit artikuliert und auf die Verschärfung von Konflikten um »Werte« und kulturelle Normen abzielt.

Energiesteuerprivileg und industriegesellschaftliches Erbe

Auslöser der Proteste war der im Dezember 2023 vereinbarte Plan der Bundesregierung, als Teil der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds notwendig gewordenen Einsparungen von 60 Milliarden Euro die pauschale Befreiung land- oder forstwirtschaftlicher Zugmaschinen und anderer Fahrzeuge von der Kfz-Steuer (§ 3 Nr. 7 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes) abzuschaffen und das Vergütungssystem nach § 57 des Energiesteuergesetzes zu beenden (»klimaschädliche Subventionen«).

Letztere Vorschrift sieht vor, dass Landwirte auf Antrag von der beim Betanken land- und forstwirtschaftlich genutzter Fahrzeuge entrichteten Energiesteuer teilweise entlastet werden, und zwar in Höhe von zur Zeit 21,48 Cent pro Liter bei fossilen und 45 Cent pro Liter bei Biokraftstoffen. Diese Regeln gehören zu einem komplexen Instrumentarium, mit dem die Verbraucherpreise für landwirtschaftliche Produkte künstlich gedrückt werden. Der Hauptteil dieser Aufgabe fällt der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union zu. Sie ist wie das Währungsrecht eines der wenigen Politikfelder, in denen die Mitgliedstaaten praktisch keine eigenen Kompetenzen mehr haben und nur noch als nachgeordnete Behörden der Kommission und der mächtigen Generaldirektion Landwirtschaft (GD AGRI) fungieren.

Die genannten Vorschriften des Kraftfahrzeug- und Energiesteuerrechts sind aber zugleich Teil einer viel umfangreicheren rechtlichen Sonderstellung der Landwirtschaft im deutschen Steuer- und Wohlfahrtsstaat. Die historische Begründung für das Agrarprivileg ist ein Kind der deutschen Industriegesellschaft des Wirtschaftswunders: Bäuerliche Fahrzeuge, so heißt es, fahren meist auf Feldern und profitieren deswegen weniger vom steuerfinanzierten Straßennetz. Das ist ungewöhnlich. Steuern stehen prinzipiell in keinerlei Gegenleistungsverhältnis zu staatlichen Aufgaben. Hundesteuer zahlt auch das Schoßhündchen, das den Salon nie verlässt und keinen Mehraufwand bei der Straßenreinigung verursacht. Umgekehrt dürfen die Erträge der Tabak- und Sektsteuer nicht nur für die Bedürfnisse von Rauchern und Trinkern, sondern für alle Staatsaufgaben eingesetzt werden.

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