Heft 861, Februar 2021

Barbecue

von Leander Steinkopf

Aus dem Briefschlitz hängen alte Werbeprospekte, vom Regen gewellt, von der Sonne verblichen. Die Gartenpforte ist nur angelehnt. Der Waschbetonweg ist brüchig geworden seit meinem letzten Besuch, und die Bäume und Sträucher des Vorgartens haben ihn so überwuchert, dass da nur ein schmaler Gang bleibt, der hoch zur Haustür führt. Sie steht offen, doch es riecht nach dem Rauch eines Holzfeuers, deshalb vermute ich ihn hinter dem Haus. Ich gehe an der Fassade entlang, die Pflanzen drängen mich an den Rauputz. Als ich den betonierten Bereich halb hinter dem Haus erreiche, sehe ich Justus im Bademantel am Grill stehen, mit einem Glas Rosé in der Hand.

Wir begrüßen uns mit Handschlag, knapp, dann weiche ich zurück, weil es am Grill noch heißer ist als diesen Sommer ohnehin und weil Justus dringend Holz nachlegen muss. Es ist kein Kugelgrill, Kastengrill oder Schwenkgrill, sondern so eine amerikanische Südstaatensache, schweres Gerät, das bei der Essensbereitung beständig umsorgt werden will, ein großer schwarzer Zylinder auf Beinen, wie beim Bockspringen im Sportunterricht, doch aus Stahl. Ans rechte Ende des Zylinders ein kleinerer geschweißt, den man mit Holz befeuert, damit der heiße Rauch durch den großen Zylinder zieht, dort das Grillgut langsam gart und räuchert, um dann zur anderen Seite des Zylinders aus einem Schornsteinrohr zu entweichen. Als er das Ding damals anschaffte, sahen alle Nachbarn so etwas zum ersten Mal. Sie stänkerten wochenlang über das neuartige Zeugs, und Justus räucherte sie ein, wochenlang. Damals sah der Grill fast prunkvoll aus, so schwer und schwarz. Nun wölbt sich der Pulverlack von der Korrosion, die sich darunter kräuselt, und an mancher Stelle ist der Rost vollends durchgebrochen. Der Grill hat sich dem heutigen Vorhaben anscheinend nicht ohne weiteres geöffnet, auf dem weißen Plastiktisch liegt neben all den Küchenutensilien noch das Werkzeug. Mit Brechstange und Kriechöl hat er den Grill wieder in Betrieb genommen.

Ich lehne meinen Rucksack an ein Tischbein, ich weiß nicht, warum ich ihn überhaupt mitgenommen habe, nur dienstliche Unterlagen, die ich nun wegwerfen kann, und die Flasche Rotkäppchensekt, die mir der Chef zum Abschied geschenkt hat, die er allen Mitarbeitern zum Abschied geschenkt hat. Ich ziehe mir einen der Plastikstühle heran, müde und mürbe ächzt er unter meinem Gewicht. Auch der Plastiktisch ist noch derselbe wie früher, bloß dass er an manchen Stellen porös und grau geworden ist. Justus’ Bademantel stammt wohl aus seiner Kindheit oder Jugend, jedenfalls reichen die Ärmel nur bis zur Hälfte seiner Unterarme, und selbst zugebunden steht der Mantel einen Spalt breit offen, man kann Justus’ Bauchnabel sehen und seine Unterwäsche.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen

Weitere Artikel des Autors