Die Kiffer der Käffer
von Leander SteinkopfWenn es im Sommer nach Gras riecht, dann riecht es einfach nur nach Gras. Im Winter ist es was anderes. Dann riecht Gras nach trüben Nachmittagen in der Schutzhütte am Waldrand, auf der Bank zwischen zwei Dörfern oder hinter der Rückwand einer Scheune. Kiffen bedeutete damals in der Jugend auf dem Land, auch bei schlechter Witterung draußen zu sein, in der Gruppe zu frieren und vom Regen nass zu werden, aber trotzdem dringend dabei sein zu wollen. »Kommste mit einen rauchen?«, war die Frage, auf die man mit Sicherheit »ja« sagte, auch wenn sie ehrlicher gelautet hätte: »Hast du Lust, eine halbe Stunde durch den Regen zu latschen, auf einer zugigen Holzbank mitten im Nirgendwo stundenlang auszuharren, um dann unterkühlt wieder nach Hause zu gehen und dort trockenes Brot und Scheibenkäse aus dem elterlichen Kühlschrank mit einem Genuss zu verschlingen, als säße man beim Edelitaliener?«
Ob ich mit zu Krümel komme, hatte mich damals eine Freundin gefragt. Und auch wenn ich nicht die geringste Ahnung hatte, wer Krümel war, verließ ich mit ihr die lahme Party, wir gingen ein Stück durchs Wohngebiet, stiegen über einen Zaun, durchquerten einen Garten, betraten die Waschbetonplatten einer Terrasse, und sie klopfte dort an den heruntergelassenen Rollladen, der sich daraufhin etwas hob, so dass Licht durch die Spalten herausschien. »Ich bin’s«, sagte meine Freundin, woraufhin der Rollladen zur Hälfte hochgezogen wurde und wir durch die Terrassentür ins Zimmer schlüpfen konnten.
Krümels Familie war aus Berlin hergezogen, er kannte Titanic fast auswendig und sagte, es liege daran, dass er ihn mit so vielen Mädchen im Kino gesehen habe. Irgendwo unter den schmutzigen Klamotten, die sich an seinem Schreibtisch häuften, wohnte seine zahme Ratte, und während unseres Aufenthalts klopfte mehrmals seine Mutter an die Zimmertür, einmal um Sandwiches und Saft zu bringen, dann um zu fragen, ob wir noch etwas bräuchten. Krümel war klug und gebildet, jedenfalls gebildeter als ich, und ich fragte mich, wie man es aushält, von Berlin hier zu uns in die Kleinstadt zu ziehen. Aber vielleicht war es ihm sogar recht, hier als big fish in a small pond den abgeklärten Hauptstädter zu markieren.
Erhabenheit in der Provinz
Wir saßen alle auf dem Boden, Krümel lehnte an einer altmodischen Schrankwand, dunkel furnierter Pressspan, oben Regalbretter und Glastüren, unten große Schubladen. Und eine dieser großen Schubladen zog er auf, holte etwas Voluminöses daraus hervor und legte mir, der nicht weit von ihm saß, einen prallgefüllten transparenten Plastikbeutel in die Hände, tat es so getragen und würdevoll, als wäre es ein rotes Samtkissen, auf dem eine Kaiserkrone ruht.
In dem Beutel befanden sich die harzigen Blütenstände einer Grünpflanze, wobei es ein kaltes Grün war, fast bläulich. Jedenfalls waren da nicht nur die matten Farben von Blättern, Harz und Stängeln, sondern das Kraut funkelte mit kaltem Feuer, als wäre es mit Diamanten bestäubt. »Das sind THC-Kristalle«, sagte Krümel, und natürlich glaubte ich ihm nicht. Wer weiß, was sein Dealer mit Sprühkleber an die Pflanze gepappt hatte, um den Effekt zu erzielen.
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