Heft 847, Dezember 2019

Demokratisierung der Demokratie

von Philip Manow

Demokratische Repräsentation war ursprünglich die Lösung für ein Problem, das Pöbel oder Menge hieß. Mit ihr ließen sich zwei Unterscheidungen zur gleichen Zeit vollziehen: die zwischen Repräsentanten und Repräsentierten und die zwischen repräsentierbar und nicht repräsentierbar.1 Das aber etabliert zwei potentielle politische Bruchstellen. Einerseits den Verdacht, dass die Repräsentanten die Interessen der Repräsentierten vergessen oder vernachlässigen, oder diejenigen, die zu repräsentieren sie beauftragt sind, gar gänzlich verachteten. Aber es geht nicht nur um diese beständige Möglichkeit einer Repräsentationslücke – »representative government as we know it leaves open a ›gap‹ between governors and governed, so that despite being represented, the people remain outside« –,2 sondern auch andererseits um die Frage, was in der Demokratie als repräsentierbar eingeschlossen und was als nichtrepräsentierbar ausgeschlossen werden muss.

In dem neuen demokratischen Diskurs des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts wird Volk zunächst eher als transzendentales Prinzip denn als konkretes Handlungssubjekt angerufen: »We the people«. Volkssouveränität ist erst einmal eine abstrakte Referenzgröße in einem politischen Legitimationsdiskurs, ohne dass schon eine genaue Vorstellung darüber besteht, wie sie konkret ausgestaltet werden sollte.3 Und hinter diesem abstrakten Legitimationskonzept verschwindet das konkret vorgestellte gemeine Volk, der Plebs oder der Pöbel, als politische Größe. Politische Abstraktion ersetzt soziale Konkretion, vor allem weil ja mit Volk in etwa Nation gemeint war, und keine bestimmte Gesellschaftskategorie: »The people are not the rabble but are constituted of all the inhabitants of the land.«4 In Artikel 7 der französischen Verfassung von 1793 heißt es erläuternd: »Le peuple souverain est l’universalité des citoyens français.« Das antwortete auf die Vorbehalte gegenüber the rabble. Der Volksbegriff spaltet sich also, im Zuge der Durchsetzung der demokratischen Idee, im 18. Jahrhundert in zwei Konzepte – ein niedriges: Pöbel, ein hohes: Nation.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen

Weitere Artikel des Autors