Nicht mein Buch
Eine Replik auf Matthias Goldmanns Kritik von Philip ManowEine Replik auf Matthias Goldmanns Kritik
Matthias Goldmanns Rezension von Unter Beobachtung im Merkur vom Oktober handelt nicht von meinem Buch gleichen Titels, sondern von zwei anderen Büchern: von einem, von dem er lediglich behauptet, ich hätte es geschrieben (1), und von einem, von dem er offensichtlich meint, ich hätte es stattdessen schreiben sollen – was aber nie meine Absicht war (2).
Ad 1: Goldmann behauptet, dass ich den enormen Konstitutionalisierungsschub insbesondere in Europa seit den späten 1980er Jahren beschreibe als »gegenmajoritäres Instrument einer westeuropäischen Elite zur Durchsetzung ihrer Interessen« und dass ich vor dem Hintergrund einer solchen »unterkomplexen«, »flachen« Rekonstruktion des Geschehens, die einer »populistischen Erzählung auf den Leim geht«, eben diese populistische Revolte selbst vollumfänglich salviere, als gesunde demokratische Antwort werte gegen judicial overreach und als Rückbesinnung auf unsere gute, alte elektorale Demokratie, so, wie sie einst vorherrschend war, vor ihrer liberalen Disfiguration. In Verbindung stehe diese meine flache Erzählung mit einer unsystematischen, über das Buch verstreuten und zudem empirisch unplausiblen Kausalanalyse, die das übergriffige Agieren vieler Verfassungsgerichte einzig und allein darauf zurückführen wolle, dass sich im gleichen Zeitraum die Parteiensysteme vieler Länder stark fragmentiert hätten, wodurch es der Politik immer schwerer gefallen sei, dem Recht und den Richtern etwas entgegenzusetzen.
Das alles ist frei behauptet und kommt bezeichnenderweise ohne jeglichen Textbeleg aus. Goldmann muss meine Argumentation erst völlig entstellen, um sie dann als unterkomplex vorzuführen. Lesen kann man hingegen in meinem Buch, keineswegs verstreut, sondern sehr konzentriert auf den Seiten 98 bis 106, als Argument sogar noch einmal zusammengefasst auf Seite 102, dass der enorme Konstitutionalisierungsschub der späten Achtziger und frühen Neunziger in den Transformationsländern Ostmitteleuropas auf einem ganzen Bündel von Motiven beruhte: »die hohe Unsicherheit des Regimeübergangs an sich, der Wunsch nach ›höherrangigem‹ Recht in Ländern mit einer in totalitären Zeiten diskreditierten normalen Gerichtsbarkeit, zusätzlich in Ostmitteleuropa die vorherige Betonung der Menschen- und Bürgerrechte seitens der dortigen Dissidenten, danach die Beratung und Begleitung der Übergangsprozesse durch europäische Akteure sowie deutsche und US-amerikanische Verfassungsjuristen, die ihre Systeme als Blaupause empfehlen, und die fortgesetzte politische Präsenz der alten Kräfte in Form postkommunistischer Parteien – alles dies trägt zur besonders konstitutionalisierten Form dieser Demokratisierungsprozesse bei« (S. 102). In diesem Zusammenhang referiere ich die einschlägige Literatur (Ginsburg, Versteeg, Issacharoff, Sadurski, Gardebaum etc.) – so dass es allein deswegen schon absurd ist, zu suggerieren, ich würde es so darstellen, als sei ich der Erste, dem diese constitutional revolution aufgefallen wäre.
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