Heft 850, März 2020

Die Lager Schlesiens – Topografien

von Michaela Maria Müller

Der erste Bahnhof, an dem der Zug hinter der deutsch-polnischen Grenze Station macht, ist Rzepin. Fahrgäste aus Berlin steigen um und warten am Bahnsteig auf den Schnellzug nach Oppeln. Der Bahnhof hat erst seit wenigen Jahren ein Containerterminal, heute gut bestückt und beladen mit Waren aus China, die immer häufiger über die Schiene nach Europa transportiert werden.

Ich verfolge mit dem Smartphone unseren Weg und sehe, wie sich der blaue Punkt weiter Richtung Osten bewegt. Wir fahren an der Oder entlang und überqueren sie immer wieder. Vor Beginn der Reise habe ich Schlesien oft auf Karten heran- und herausgezoomt, zwischen Satelliten- und Topografiekarten wechselnd, habe alte Flözkarten studiert, die aus der Zeit stammen, als die Bergbauregion noch inmitten des Deutschen Reiches lag, als in Kattowitz die Synagoge noch neben dem Gymnasium stand und sich im Norden die Ferdinandgrube anschloss, deren Flöze Jakob, Karoline, Xaver oder Veronika Blücher hießen. Sie wurden mit blauen und roten Linien markiert, die sich auf den Karten wie Venen und Arterien durch einen Körper zogen.

Die Nationalsozialisten brachten die Lager nach Schlesien. Während des Zweiten Weltkriegs lag Schlesien im Wehrkreis VIII, wo es sieben sogenannte STALAGs und OFLAGs gab, deutsche Stamm- und Offizierslager für europäische Kriegsgefangene. In unzähligen Außenlagern der Konzentrationslager mussten Häftlinge Zwangsarbeit leisten, etwa in der Zementfabrik von Golleschau, für die Reichsbahn in Gleiwitz, für das Kraftwerk in Neu-Dachs. Allen voran aber Auschwitz.

Die Infrastruktur der Lager blieb nach Kriegsende bestehen. Jetzt wurden Deutsche oder solche, die man dafür hielt, dort interniert und warteten auf ihre Umsiedlung. Sie waren in den Lagern von Eintrachthütte, Myslowitz und Lamsdorf untergebracht. Viele sind an Hunger, Folter und Krankheiten gestorben.

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