Heft 918, November 2025

Entfesselte Exekutive

Was Trump (für postliberale amerikanische Juristen) rechtfertigt von Jan-Werner Müller

Was Trump (für postliberale amerikanische Juristen) rechtfertigt

Seit zehn Jahren diskutieren wir inzwischen die Frage: Ist Trumpismus eine eigenständige, substanzielle Ideologie? Oder schlicht eine Spielart von Rechtspopulismus, bei der ein für Außenstehende schwer nachvollziehbarer Persönlichkeitskult besonders ausgeprägt ist? Handelt es sich um die systematische Durchsetzung eines Südstaatenrassismus, der nie ganz aus der amerikanischen politischen Kultur verschwunden war, aber scheinbar klar auf der Verliererseite der Geschichte stand? Oder ist Trumpismus vielleicht gar keine Frage von irgendwie gearteten Gesellschafsbildern, sondern ein Set von Taktiken, um die Schwächen vieler amerikanischer Institutionen – seien es politische Parteien oder das Mediensystem – gnadenlos auszunutzen?

An all diesen Perspektiven ist etwas dran. Sie erklären aber kaum ein spezifisches Kennzeichen der zweiten Amtszeit Trumps: die enorme Konzentration von Macht in den Händen eines Mannes und das offensichtliche Ende von etwas, auf das sich amerikanische Verfassungsrechtler oft besonders viel einbildeten – die Gewaltenteilung. Resultiert diese Machtballung aus dem rücksichtslosen Vorgehen eines Autokraten in spe, der sich halt beim zweiten Versuch sehr viel geschickter anstellt (und dem diesmal loyale und kompetente Leute zuarbeiten)? Oder gibt es auch einen Plan oder gar eine explizite Rechtfertigung seitens von Rechts- und Sozialwissenschaft? Es gibt sie in der Tat, und wer sie verstehen will, muss die spezifische Ausprägung einer Gedankenströmung verstehen, die sich auch seit gut zehn Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks finden lässt: der sogenannte Postliberalismus.

Postliberalismus – mehr als kommunitaristische kosmetische Korrekturen am Liberalismus?

Den postliberalen Auftakt in den USA machte das auch in Deutschland bekannt gewordene Buch des politischen Theoretikers Patrick Deneen. 2018 legte der an der katholischen Universität Notre Dame lehrende Wissenschaftler einen Essay vor, in dem er zu erklären versuchte, warum der Liberalismus gescheitert sei. Die Pointe seiner Antwort: Der Liberalismus sei in gewisser Weise gar nicht gescheitert; die katastrophalen Charakteristika unseres Zeitalters resultierten vielmehr daraus, wie umfassend ihm die Befreiung der Individuen von allen nicht selbst gewählten Zwängen gelungen sei. Deswegen lebten wir heute in einer kulturlosen Welt (Deneen versuchte, den Begriff anticulture als Zeitdiagnose zu verbreiten; viel Resonanz erfuhr er nicht). Es gäbe, so Deneens Lamento weiter, keine authentischen Gemeinschaften mehr; außerdem stünden die Einzelnen, statt sich ihrer vom Liberalismus erfochtenen Autonomie zu erfreuen, letztlich schutzlos einem Staat gegenüber, der – und auch das im Namen des Liberalismus – alle verbliebenen nichtliberalen Lebensformen zerstöre.

Bei Deneen fanden sich Gedanken, die jedem, der mit kulturpessimistischen Strömungen im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts vertraut ist, sattsam bekannt vorkommen mussten; auch viel von dem, worüber Kommunitaristen in den USA während der achtziger Jahre geklagt hatten, wurde recycelt. Ungewohnt – wenn auch nicht ganz neu – war die These, bei Linken und Rechten in den Vereinigten Staaten handele es sich schlicht um unterschiedliche Spielarten von Liberalismus; beide erachteten schließlich Freiheit – sei es Freiheit von Regulierung der Wirtschaft oder Freiheit von kulturellen Fesseln bei der individuellen Selbstverwirklichung – als das höchste menschliche Gut. Auch wenn es wohl kaum das Hauptanliegen des Buches war, offerierte Deneen somit auch eine Version von amerikanischem exceptionalism. Der enorm einflussreiche Historiker Louis Hartz hatte bereits in den fünfziger Jahren die These vertreten, die USA, als eine Gesellschaft, in der niemals Feudalismus geherrscht habe, kennten eigentlich nur den Liberalismus; alle Amerikaner seien irgendwie Anhänger von John Locke. Auch wenn Geschichtswissenschaftler diese Erzählung eines country born liberal heute mit großer Skepsis sehen: Unter ganz anderen Vorzeichen tischte sie Deneen noch einmal auf.

Am Ende seiner Tirade blieb dem Politischen Theoretiker nur eine defätistische Haltung angesichts der »antikulturellen« Hegemonie – und die Empfehlung, sich in lokale, illiberale Gemeinschaften zurückzuziehen; Hinweise auf Tocqueville und viel amerikanischer Kleinstadtkitsch konnten jedoch kaum davon ablenken, dass eine Art Flucht aufs Land angesichts des vermeintlich allmächtigen, letztlich alles zerstörenden Liberalismus wohl kaum eine effektive Gegenstrategie sein konnte.

Andere Vertreter einer sich nun bewusst »postliberal« nennenden Strömung wollten sich nicht mit einer Art innerer Emigration abfinden. Sie forderten eine strategische nationale Industriepolitik, das Ende von Einwanderung und mehr Beihilfen für Familien – in der Hoffnung, die Republikaner könnten sich zu einer konservativen Arbeiterpartei entwickeln. Dies erklärt auch, warum Postliberale zunehmend Gefallen am Regime Viktor Orbáns fanden; dieser – so meinten sie – setze die Nation an die erste Stelle, statt sich dem neoliberalen Globalisierungsdruck zu fügen; er fördere mit staatlichen Mitteln konsequent natürliche Gemeinschaften, allen voran die Familie, mit staatlichen Mitteln und halte die Grenzen dicht. Nicht zuletzt entreiße er die Hochschulen und die ganze Bildungspolitik den vermeintlich hegemonialen Linksliberalen – was einmal von dem bekennenden Postliberalen J. D. Vance zum Vorbild für die USA erklärt wurde. Der Einsatz des staatlichen Gewaltmonopols, um illiberale Ideen durchzusetzen, famille, patrie, travail – das rechtfertigten die Postliberalen zunehmend, ohne jedoch klar zu sagen, wie weit man die weltanschauliche Neutralität des Staates zugunsten eines kommunitaristischen oder gar eindeutig christlichen Ethos zurückzudrängen gedachte. Es fehlte eine umfassende politische Theorie.

Ein halbes Jahrzehnt nach seinem Überraschungserfolg versuchte sich Deneen an einer. In dem 2023 erschienen Regime Change forderte er nun eine konservative Elite auf, beherzt die Macht im Staat zu ergreifen. Sie sollte dies tun zugunsten der vermeintlich einfachen, stets von den liberalen Eliten gegängelten Leute. »Aristopopulismus« taufte Deneen diese Allianz aus konservativen Aristoi – also, im ursprünglichen griechischen Sinn, den Besten, die ein Land zu bieten habe – und den common people. Letztere wollten eigentlich nur »Stabilität« und »Kontinuität« – sprich: sie waren instinktiv Konservative – und hätten auch das Herz am rechten Fleck – sprich: traditionelle Moralvorstellungen; sie wüssten sich aber ohne antiliberale Eliteeinheiten einfach nicht zu helfen.

Wie genau dieses neue Regime etabliert werden würde, blieb weitgehend unklar; was genau nach dem regime change passieren sollte, war bei Deneen auch nicht zu lesen; da fand sich allenfalls ein Sammelsurium von Policy-Vorschlägen (Hilfe für Familien, etc.), für die es den ganzen kulturpessimistischen Aufwand – und auch das Zusammenklauben von Ideen aus der Geschichte des politischen Denkens, bei Aristoteles angefangen – nicht gebraucht hätte. Es fehlte weiterhin ein kohärenter begrifflicher (und letztlich normativer) Rahmen für das postliberale »Regime«.

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