Heft 898, März 2024

Rechtspopulismus als Bauherr

von Jan-Werner Müller

Einst, in der westdeutschen Nachkriegszeit, entspann sich eine intensive Debatte über »demokratische Architektur«. Politisch durfte Bonn nicht Weimar sein – ästhetisch aber durchaus: An Bauhaus und den International Style sollte angeknüpft werden, um demokratische Gesinnung zu signalisieren.1 Damit einher ging eine möglichst deutliche ästhetische Absetzung vom Nationalsozialismus: statt Speer’scher Germania-Gigantomanie bewusste, fast schon ostentative Bescheidenheit (man erinnere sich an das Bonmot Helmut Schmidts, der Kanzlerbau in Bonn gemahne an eine »rheinische Sparkasse«); statt klassischem Stil und dem Nazi-Wort aus Stein stählerne Moderne und ganz, ganz viel Glas, das von manchen kurzerhand mit Demokratie gleichgesetzt wurde. Wie der SPD-Politiker Adolf Arndt ausführte, sollte es nicht nur demokratisch legitimierte Auftraggeber für Gebäude geben; die Demokratie selbst sollte als Bauherrin den Bürgerinnen und Bürgern kenntlich werden. Das geschehe, so Arndt in seinen schon klassisch zu nennenden Ausführungen, »mittels Durchlässigkeit« und »Zugänglichkeit« für das souveräne Volk – eine Maxime, die aus der Bonner eine gläserne Republik machte.2

Seither ist viel passiert. Verhältnisse in heutigen fragilen Demokratien sind zwar nicht automatisch mit Weimarer Verhältnissen gleichzusetzen, aber gesichert geglaubte Grundelemente demokratischer politischer Ordnung – von Gewaltenteilung bis Minderheitenschutz in pluralistischen Gemeinwesen – werden auch dort nicht nur immer häufiger ungeniert hinterfragt, sondern mitunter bewusst zerstört. In unterschiedlichen Teilen der Welt haben sich Regierungen fest etabliert, die man als rechtspopulistische Regime bezeichnen muss: Es handelt sich nicht einfach nur um rechte Parteien, die auf Zeit ihr Programm umsetzen, sondern die, wenn sie genug Macht haben, ganz bewusst ihre Gesellschaften umformatieren, oder, um den Begriff des italienischen Marxisten Antonio Gramsci zu gebrauchen, kulturelle Hegemonie dauerhaft zu etablieren suchen.

In Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren eine kontroverse Diskussion über Architektur und Rechtspopulismus entsponnen. Angestoßen von dem Architekturtheoretiker Stephan Trüby geht der Streit nicht zuletzt um die Frage, ob es so etwas wie per se rechtspopulistische Räume geben kann.3 Umstritten ist zudem, ob historische Rekonstruktionen wie beispielsweise die »neue« Frankfurter Altstadt oder das Schloss in der Mitte Berlins dem Rechtspopulismus vielleicht auf irgendeine Weise den Weg bereiten.

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