Rechtspopulismus als Bauherr
von Jan-Werner MüllerEinst, in der westdeutschen Nachkriegszeit, entspann sich eine intensive Debatte über »demokratische Architektur«. Politisch durfte Bonn nicht Weimar sein – ästhetisch aber durchaus: An Bauhaus und den International Style sollte angeknüpft werden, um demokratische Gesinnung zu signalisieren. Damit einher ging eine möglichst deutliche ästhetische Absetzung vom Nationalsozialismus: statt Speer’scher Germania-Gigantomanie bewusste, fast schon ostentative Bescheidenheit (man erinnere sich an das Bonmot Helmut Schmidts, der Kanzlerbau in Bonn gemahne an eine »rheinische Sparkasse«); statt klassischem Stil und dem Nazi-Wort aus Stein stählerne Moderne und ganz, ganz viel Glas, das von manchen kurzerhand mit Demokratie gleichgesetzt wurde. Wie der SPD-Politiker Adolf Arndt ausführte, sollte es nicht nur demokratisch legitimierte Auftraggeber für Gebäude geben; die Demokratie selbst sollte als Bauherrin den Bürgerinnen und Bürgern kenntlich werden. Das geschehe, so Arndt in seinen schon klassisch zu nennenden Ausführungen, »mittels Durchlässigkeit« und »Zugänglichkeit« für das souveräne Volk – eine Maxime, die aus der Bonner eine gläserne Republik machte.
Seither ist viel passiert. Verhältnisse in heutigen fragilen Demokratien sind zwar nicht automatisch mit Weimarer Verhältnissen gleichzusetzen, aber gesichert geglaubte Grundelemente demokratischer politischer Ordnung – von Gewaltenteilung bis Minderheitenschutz in pluralistischen Gemeinwesen – werden auch dort nicht nur immer häufiger ungeniert hinterfragt, sondern mitunter bewusst zerstört. In unterschiedlichen Teilen der Welt haben sich Regierungen fest etabliert, die man als rechtspopulistische Regime bezeichnen muss: Es handelt sich nicht einfach nur um rechte Parteien, die auf Zeit ihr Programm umsetzen, sondern die, wenn sie genug Macht haben, ganz bewusst ihre Gesellschaften umformatieren, oder, um den Begriff des italienischen Marxisten Antonio Gramsci zu gebrauchen, kulturelle Hegemonie dauerhaft zu etablieren suchen.
In Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren eine kontroverse Diskussion über Architektur und Rechtspopulismus entsponnen. Angestoßen von dem Architekturtheoretiker Stephan Trüby geht der Streit nicht zuletzt um die Frage, ob es so etwas wie per se rechtspopulistische Räume geben kann. Umstritten ist zudem, ob historische Rekonstruktionen wie beispielsweise die »neue« Frankfurter Altstadt oder das Schloss in der Mitte Berlins dem Rechtspopulismus vielleicht auf irgendeine Weise den Weg bereiten.
Es mag sein, dass, wie Trüby betont, nicht alle Verfechter von Rekonstruktionen Rechtspopulisten seien, aber alle Rechtspopulisten sich für Rekonstruktion einsetzen. Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, worin genau der Zusammenhang zwischen der gebauten Umwelt und spezifischen politischen Leitwerten besteht – eine Frage auch an sich selbst als »rechts« deklarierende Intellektuelle, die nun meinen, ihrerseits »linke Räume« kritisieren zu müssen.
Es gilt hier, noch einmal grundsätzlich zu fragen, was genau Rechtspopulismus eigentlich ist. Die Antwort lautet, dass es sich um einen ganz spezifischen (und für die Demokratie stets gefährlichen) Anspruch handelt, das vermeintlich »wahre Volk« zu repräsentieren – und nicht einfach, wie es gängige Klischees wollen, um Elitenkritik aus konservativer Warte. Rechtspopulisten an der Macht – so sie denn ausreichend Ressourcen und genug Zeit haben – versuchen in der Regel, ihr symbolisches Verständnis des »wahren Volkes« auch durch Architektur und Raumgestaltung als verbindlich auf Dauer zu stellen. Historische Rekonstruktionen – nostalgisch im Sinne von »Making Irgendwas Great Again«, aber gleichzeitig zutiefst ahistorisch – sind häufig Teil dieser Strategie, die hier mit Beispielen aus der Türkei, Ungarn und Indien veranschaulicht werden soll.
Es wäre verfehlt, vor diesem Hintergrund nun jegliche historische Rekonstruktion als inhärent rechtspopulistisch zu verdammen. Ganz politisch unschuldig sind diese Projekte jedoch auch nicht; denn es existiert eine problematische Verbindung zwischen Rekonstruktionen – auch wenn sie gar nicht von rechtspopulistischen Intellektuellen oder Politikern angestoßen wurden – und einer möglichen gesamtgesellschaftlichen Verschiebung in Richtung nicht nur nach rechts (was man ja begrüßen mag oder auch nicht), sondern in eine deutlich undemokratische Richtung. Schon seit einigen Jahren konstatieren Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler einen Prozess, der sich mit dem Begriff »Mainstreaming von Rechtsaußen« zusammenfassen lässt.
Konkret: Rechtsradikale oder gar rechtsextreme Positionen werden salonfähig; konservative oder auch christdemokratische Politikerinnen und Politiker, die stets als »Mainstream« galten, sind plötzlich bereit, mit Akteuren des rechten Rands zu kooperieren (oder gleich offiziell zu koalieren) – oder zumindest die Rhetorik von Rechtsaußen zu kopieren. Rekonstruktionen bieten in diesem Zusammenhang eine Art Brücke, die es sich selbst als bürgerlich-mittig oder zumindest als konventionell konservativ wahrnehmenden Kreisen ermöglicht, den Weg hin zu eindeutig rechtspopulistischen, wenn nicht gar gleich rechtsradikalen Positionen zu finden.
Um ein Argument aus der Auseinandersetzung um Trübys Thesen aufzugreifen: Nein, Fachwerk ist nicht gleich Faschismus, aber eine Bildpolitik – denn größtenteils geht es nur um schön alt aussehende Fassaden und weniger um Gestaltung von Räumen – kann eben auch eine heile Nationalgeschichte und vor allem »Normalität« suggerieren, die dann wiederum die erst einmal ganz abstrakte Vorstellung eines »wahren Volkes« mit sehr spezifischem kulturellen, wenn nicht gleich ethnischem Inhalt füllt.
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