Homestorys (II): Living
von Christian Demand»Unser living-room, – Wohnzimmer kann man
solche Räume ja nun wirklich nicht mehr nennen…«
Alfred Andersch, Opferung eines Widders (1963)
Anfang März 2015 empfingen der griechische Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis und seine Frau Danae Stratou ein Reporter- und Fotografenteam der Illustrierten Paris Match in ihrem Penthouse in der Altstadt von Athen. Varoufakis war zu diesem Zeitpunkt seit etwas mehr als einem Monat Finanzminister des Kabinetts von Alexis Tsipras. Als erste wichtige Amtshandlung, nur drei Tage nach seiner Vereidigung, hatte er die Zusammenarbeit Griechenlands mit der Troika, dem von der Euro-Gruppe eingesetzten haushaltspolitischen Kontrollgremium, einseitig für beendet erklärt. Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt des ansonsten wohlkalkulierten Eklats war der unmittelbar darauf einsetzende Medien-Hype um den »Euro-Schreck« (Bild) Varoufakis, der vor allem deshalb solche Fahrt aufnahm, weil der politische Seiteneinsteiger mit seinem unkonventionellen Auftreten wie der direkte Gegenentwurf zu den geriebenen Berufspolitikern wirkte, die bis zu diesem Zeitpunkt das uniforme Gesicht der Krise gewesen waren. Von nun an überschwemmten Aufnahmen des Ministers in Jeans und enger Lederjacke, wie er mit einem schweren Motorrad an seinem Amtssitz vorfährt, um unerschrocken dem Spardiktat aus Brüssel entgegenzutreten, alle medialen Kanäle. Sein schwarzer Integralhelm ließ an das Outfit militanter linksradikaler Demonstranten bei Weltwirtschaftsgipfeln denken. Dass der Mann sich selbst als »radical social theorist« bezeichnete und kurz nach seinem Amtsantritt im Guardian in geschliffenem Englisch eine Eloge auf Karl Marx publizierte,2 rundete das Bild ab.
Common People
Die Homestory in Paris Match pulverisierte Varoufakis’ rebellisches Image auf einen Schlag. In genretypisch verschmockter Tabloid-Ästhetik präsentierte die Fotostrecke ein Bild eitler Fügsamkeit, das mit dem kantigen Profil der öffentlichen Persona nur schwer zur Deckung zu bringen war. Man sah, wie der »erratic Marxist« für die Kamera Klavierspielen spielte, am Schreibtisch im eigenen Buch blätterte, am reichgedeckten Tisch Abendessen mimte und auf der Dachterrasse eng umschlungen mit seiner Gattin posierte, die Akropolis wie auf einer Fototapete im Hintergrund. Die Selbstzufriedenheit, mit der er sich dabei jeweils in Pose warf, dokumentierte ein befremdliches Einverständnis mit dem spießigen Voyeurismus der Inszenierung: Varoufakis wirkte wie ein Tourist auf der eigenen Urlaubsinsel, besoffen vor Stolz und Glück. Alles Schroffe, Anmaßende, Sperrige war wie weggeblasen, darüber konnte auch das Logo der spröden texanischen Kunstsammlung auf seinem T-Shirt nicht hinwegtäuschen.
Nun dürfte es vier Jahrzehnte nach Bourdieus Studie über Die feinen Unterschiede für niemanden eine große Überraschung gewesen sein, dass ein gutverdienender, international vernetzter und gefragter Ökonomieprofessor und seine vermögende, künstlerisch tätige Ehefrau sich zu einem Lebensstil hingezogen fühlen, für den der urbane Chic einer Dachterrassenwohnung in bester Innenstadtlage die passende Kulisse darstellt. Unter weniger dramatischen politischen Umständen hätte die Geschichte deshalb wohl auch kaum größere Wellen geschlagen. So aber wurde das Leben des Ministers über den Dächern Athens als schlagender Beweis für seine soziale und wirtschaftliche Entrücktheit gewertet und damit als Verrat an der Sache. Ein linker Volksvertreter, der im Penthouse wohnt, ist als abgehoben decouvriert: Er gibt zu erkennen, dass er selbst zu »denen da oben« gehört.3 Entsprechend desaströs fiel der Shitstorm aus, der auf die Veröffentlichung folgte. Zwei Tage später entschuldigte sich der sichtlich zerknirschte Minister im griechischen Fernsehen für die Bilder.4
Augenscheinlich kann man also auch Anfang des 21. Jahrhunderts durchaus noch auf normative Erwartungen an den privaten Lebensstil treffen, angesichts derer die Berufung auf das Recht zur individuellen Daseinsgestaltung nicht verfängt. Alles andere wäre auch ein Wunder. Gerade wenn das Wohnen in erster Linie als Ausdruck der Persönlichkeit betrachtet wird, muss man sich für die Botschaften, die man damit aussendet, gegebenenfalls auch persönlich verantworten. Erklärungsbedürftig erscheint in Anbetracht dessen allerdings weniger, dass Distinktionssignale auf diesem Feld Irritationen hervorrufen können, sondern vielmehr, wie selten das geschieht. Von wenigen Fällen, die ihrer Außergewöhnlichkeit wegen sogleich mediale Aufmerksamkeit erregen,5 einmal abgesehen, gelingt es offenbar in aller Regel, sozioökonomische Distanz so zu markieren, dass sie als legitim empfunden wird.
Mit der Deutlichkeit der Markierung oder auch dem Abstand als solchem scheint das zunächst einmal wenig zu tun zu haben. Donald Trumps erstem Präsidentschaftswahlkampf jedenfalls hat es offenbar nicht im Geringsten geschadet, dass von ihm autorisierte Interieurfotos der Öffentlichkeit zur selben Zeit Einblick in die auf 100 Millionen Dollar taxierte, in Louis-XIV-Look auf größtmögliche Distinktionswirkung hin präparierte, dreistöckige Gold- und Marmorhölle seines in zweihundert Metern Höhe gelegenen Penthouses in New York City gewährten.6 Vor diesem Hintergrund betrachtet, könnte das eigentliche Problem der Paris Match-Reportage womöglich gar nicht im Zuviel, sondern vielmehr in einem Zuwenig an Entrücktheit bestanden haben.
Ostentative Maßlosigkeit, wie sie ja keineswegs nur im Trump-Tower, sondern – der englische Stadtforscher Stephen Graham hat das erst kürzlich eindrucksvoll dokumentiert –7 von den Reichsten der Reichen auf allen Kontinenten in ähnlicher Weise zelebriert wird, hat schließlich durchaus etwas Entwaffnendes. Sie reaktualisiert in den »luxified skies« (Graham) über den Dächern der Metropolen dieser Welt – viele davon in Regionen der Erde mit extremem sozialem Gefälle, viele davon als Spekulationsobjekte die meiste Zeit des Jahres unbewohnt – mit tennisplatzgroßen Infinity-Pools, Hubschrauberlandeplätzen und per Aufzug direkt in die Wohnung schwebenden Nobelkarossen die Überbietungs- und Unnahbarkeitslogik der höfischen Repräsentationskultur aus der Ära des Absolutismus. (Es ist ganz sicher kein Zufall, dass deren dekorative Würdeformeln in vielen der geschlossenen Parallelwelten von Mar-a-Lago bis Burj al Arab derart hoch im Kurs stehen.) Die paradoxe Pointe neofeudaler Überwältigungsästhetik besteht im Wesentlichen darin, die Distanz zu den Niederungen der minderprivilegierten Stände derart ins märchenhaft Unermessliche zu verschieben, dass sie so irreal wie unveränderbar zugleich erscheint: Wo der Anblick des Reichtums in fassungsloses Staunen mündet, verstummen auch Legitimitätsfragen. Und falls nicht, gibt es ja immer noch die Security.
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