Heft 844, September 2019

Mission Possible

Die Realität der Apollo 11 von Bernhard J. Dotzler

Die Realität der Apollo 11

Als vor fünfzig Jahren der erste Mensch den Mond betrat, war dies das Ergebnis einer fast unübersehbaren Vielzahl von Balanceakten. Sie konnten gelingen, weil lange vorher, um 1810, ein gewisser Johann Gottlieb Friedrich Bohnenberger das Gyroskop erfunden hatte. Wie für die Luft- und Raumfahrt im Ganzen kann man auch von der Mondexpedition ohne Erwähnung dieses Balance-Instruments par excellence nicht reden. Ausgehend davon soll es im Weiteren dann selbstverständlich auch um die Bilanz gehen, die immer schon on board ist, wenn man im Englischen von balance spricht: um eine Bilanzierung also des Balanceakts, den die Apollo vollbrachte. Zu beginnen ist aber mit einem Loblied auf die Bohnenberger-Maschine.

Balanceakte

Was nämlich vermag eine Bohnenberger-Maschine alias Kreiselinstrument alias Gyroskop? Das Gyroskop, könnte man sagen, begabt das, was vorher ein fühlloses Ding gewesen sein mag, mit Gleichgewichtssinn. Ja, es führt eine Art Gleichgewichtssinn sogar draußen im Weltall ein, in der Schwerelosigkeit, wo es viel auszubalancieren, streng genommen ja aber keine Äquilibristik mehr gibt. In schnelle Drehung versetzt, behält ein kardanisch aufgehängter Kreisel – und nichts anderes ist ein Gyroskop – seine Rotationsachse in einem Inertialsystem bei. So macht es dessen Lage erstens messbar und zweitens anhand der Messwerte kontrollierbar. Als das Herzstück von Trägheitsnavigationssystemen stattet es Raketen und Raumschiffe mit der Begabung zur Selbstlenkung aus. Eintrag zur Trägheitssteuerung im NASA-Press-Kit der Apollo-11-Mission: »Inertial Guidance – Guidance by means or the measurement and integration of acceleration from on board the spacecraft. A sophisticated automatic navigation system using gyroscopic devices, accelerometers etc., for high-speed vehicles. It absorbs and interprets such data as speed, position, etc., and automatically adjusts the vehicle to a predetermined flight path. Essentially, it knows where it’s going and where it is by knowing where it came from and how it got there

Mit solcher technischen Ausstattung erhöht sich aber freilich auch die Schwierigkeit, die zumindest in der jüngsten Romanliteratur (in Michael Chabons Moonglow von 2016) zugleich als Schönheit der Raumfahrt bezeichnet wurde: Man muss entsagen können. Um nämlich die »Entweichungsgeschwindigkeit« zu erreichen, sind alle »Raumfahrer gezwungen, so gut wie alles hinter sich zu lassen«, und auch die Raumschiffe selbst wie die sie ins All befördernden Trägerraketen unterliegen dem Gebot, auf jedes überflüssige Kilogramm verzichten zu müssen. Schon die Befüllung mit Treibstoff ist so ein Balanceakt für sich. Mit jedem Liter wird die Rakete nur schwerer; je schwerer, desto größere Mengen Treibstoff müssen aufgetankt werden.

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