Heft 885, Februar 2023

Musks Twitter: Was bisher geschah

von Ekkehard Knörer

Sink In

»Welcome to Hell, Elon« überschrieb das Online-Magazin The Verge einen Artikel, nachdem Elon Musk am 28. Oktober 2022 Twitter dann tatsächlich gekauft hatte. Tags zuvor hatte er sich selbst zum »Chief Twit« ernannt und war mit einem Waschbecken in den Händen in die Firmenzentrale in San Francisco einmarschiert, nicht als Weltgeist zu Pferde, sondern als wandelndes Wortspiel und Möchtegern-Meme: »Let that sink in.« Donald Trump kommentierte noch am selben Tag auf seiner eigenen Social-Media-Plattform Truth Social: »I am very happy that Twitter is now in sane hands, and will no longer be run by Radical Left Lunatics and Maniacs that truly hate our country.« Ein paar Wochen später war sein nach dem Putschversuch vom 6. Januar 2020 gesperrter Account per von Musk spontan angesetzter Umfrage auf Twitter reaktiviert.1

Als Musk im April 2022 – natürlich auf Twitter – verkündete, er wolle das Unternehmen kaufen und damit vom Aktienmarkt nehmen, hielt mancher das noch für einer bloßen Laune entsprungen. Plausibel ist es, den Kauf als (Über)Reaktion auf die immer konsequentere Moderations- und Suspendierungspolitik von Twitter zu sehen. So hatte sich Musk auf Twitter über die Suspendierung des christlich-konservativen Satire-Accounts Babylon Bee wegen eines transfeindlichen Witzes enorm echauffiert. Yoel Roth, der langjährige Zuständige für Trust and Safety bei Twitter, sieht den Vorfall als wichtigen Anlass.2 Das passt ins Bild, da sich das Drama um Twitter schnell als Teil des Kulturkampfs der neuen Rechten erwies – Transphobie gehört zum Kernbestand der Anti-Woke-Ideologie. Dennoch hat Musk in der Folge zunehmend verzweifelt den Deal rückgängig zu machen versucht. Offenbar jedoch hatte er den Kaufvertrag ausgesprochen sorglos verhandelt. Als ihm klar wurde, dass seine Sache vor einem Schiedsgericht in Delaware recht aussichtslos war, trat er vom Rücktritt vom Kauf wieder zurück.3

Selbst für den reichsten Mann der Welt, Boss und /oder Gründer von SpaceX und Tesla (und Neuralink und The Boring Company), sind 44 Milliarden Dollar kein Taschengeld, es handelte sich immerhin um »die größte fremdfinanzierte Übernahme eines Technologieunternehmens« überhaupt.4 Musk musste sich und die Firma bei Banken, Kreditgebern und Investoren (private Venture-Capital-Firmen wie AH Capital Andreessen /Horowitz, aber auch bei Staatsfonds von Saudi-Arabien und Katar) verschulden.5 Die zusätzliche Schuldenlast Twitters liegt nach der Übernahme laut New York Times bei 13 Milliarden Dollar, die jährlichen Rückzahlungen liegen bei einer Milliarde. Und dies alles für eine Firma, deren Bedeutung noch nie im Ökonomischen lag. Lange, genauer gesagt in acht der letzten zehn Jahre, hat Twitter keine oder kaum Gewinne gemacht, war und blieb auf der Suche nach einem überzeugenden Monetarisierungsmodell, war und blieb auf die Finanzierung durch Werbung angewiesen, die viele Risiken birgt. Zum einen eine starke Konjunkturabhängigkeit (die absehbare Rezession kommt, wie Musk sofort eingeräumt hat, zum ganz falschen Zeitpunkt), aber auch der Druck der Werbetreibenden auf ein möglichst sauberes Umfeld ist für das schon bisher als Radau-Plattform verschriene Twitter ein großes Problem. Zudem ist das Unternehmen von den durch Werbung monetarisierbaren Nutzerzahlen her ein kleiner Fisch, von den großen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, YouTube oder TikTok sehr weit entfernt.

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