Heft 912, Mai 2025

Schnelles Sterben

von Anke Stelling

Drei Männer in Orange haben ihren Lieferwagen auf dem Gehweg geparkt und den Radweg auf der erhöhten Straßenbahnhaltestelle mit orange-weiß-gestreiften Plastikhüten zur Achtsamkeitszone erklärt: Habt Acht, hier sind wir! Hier knien wir uns nieder, um die Lämpchen zur Markierung der Erhöhung der Straßenbahnhaltestelle zu reparieren, auf dass niemand sie im Dunkeln übersehen und sich den Hals brechen möge, und während wir dafür sorgen, dass die Kanten weiterhin wahrgenommen werden können, wollen wir bitte ebenfalls wahrgenommen werden; hinterher sind immer alle ganz erschüttert, wenn die Sorgenden selbst unter die Räder kommen, also sterben statt zu retten, verbrennen statt zu löschen, beim Bergen auf der Strecke bleiben und beim Schützen einen Kopf kürzer werden. Besser: mithilfe von Signalfarben auf sich und sein Sorgetragen aufmerksam machen.

Überhaupt bin ich immer mehr für Uniform. Wer ich da oben auf dem Balkon bin, könnte mithilfe signifikanter Kleidung ebenfalls um einiges deutlicher werden: Die Schriftstellerin? Vielleicht ein dunkles, schon leicht speckiges Jackett überm krumm gesessenen Rücken, Zigarette im Mund oder besser noch Pfeife. Brechtsche Zigarre? Alles drei, und beim Putzen auf jeden Fall Kittelschürze. Ameisen und Staubmäuse sollen mich mal kennenlernen, brauchen nicht zu glauben, dass sie’s mit der nachsichtigen und vom ewigen Rauchen und vom Balkon Starren weitsichtig gewordenen Intellektuellen zu tun haben. Genauso wenig wie die Jungs. Mein Busen unter geblümtem Dederon wird sie daran erinnern, was sie zu tun haben: sich entweder tatkräftig bekennen zu der Idee, dass jeder Mensch seinen Dreck selbst wegmacht, oder meinetwegen fort- und voran- und in zwanzig Jahren mit einem Nerz für Mama wiederkommen.

Zu Rewe kam man gestern erst gar nicht rein, weil die Schiebetür kaputt war. Dann aber doch, durch die Rewe eigene Tiefgarage, und wie in Ausnahmezuständen üblich, fühlten wir Kundinnen und Kunden unterschiedlichster Herkunft und Kaufabsichten uns plötzlich verbunden. Erstmal ausgesperrt und dann doch umgeleitet zu werden ließ uns das uns Trennende kurzzeitig vergessen, doch wie lang das wohl halten würde, hab’ ich mich schon im nächsten Augenblick gefragt – leicht zu triggern und mir das Schlimmste ausmalend, wie ich nun mal bin –, also, was wäre, wenn wir dort unten im giftig nach Abgasen riechenden Beton nicht nur rasch zu Rewe, sondern dauerhaft Schutz finden wollten angesichts einer größeren Katastrophe als einer defekten Tür.

Bei der letzten Intellektuellenparty war wegen des besorgniserregenden deutschen Wahlergebnisses und der noch besorgniserregenderen Weltlage ein Weilchen diskutiert worden, wohin sich am besten auswandern ließ, und weil das zu nichts führte, führte die Diskussion zu der Frage, wie’s denn ums Bug-In bei den Einzelnen bestellt sei. Ob’s für alle Bunker gäbe und zu denen überhaupt Zugang?

»Als ob das noch was bringen würde«, sagte eine der am düstersten denkenden Personen – die vorher trotzdem noch Kanada oder eine indonesische Insel ins Spiel gebracht hatte –, »in dem Fall bin ich lieber ganz schnell tot.«

»Das mit dem Sterben musst du aber auch erstmal hinkriegen«, sagte ich, und sie: »Ich bleib’ einfach da, wo ich bin.«

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