Vergemeinschaftung des Stils?
Werkherrschaft im Zeitalter Künstlicher Intelligenz von Johannes Franzen»Miyazaki würde euch Loser hassen«
Ein Konflikt, der die moderne Kulturgeschichte stark geprägt hat, dreht sich um die Frage des ästhetischen Eigentums: Wem gehört das Werk? Der Literaturwissenschaftler Heinrich Bosse hat für den Streitgegenstand dieses Konflikts in den 1980er Jahren den Begriff der »Werkherrschaft« etabliert. Erst die vor allem urheberrechtliche Kontrolle über das Werk, die sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelt hatte, bildet demnach die Voraussetzung einer individuellen Autorschaft, die einen Herrschaftsanspruch auf das eigene Werk stellen kann. Der Geniegedanke legitimiert diesen Anspruch: Dem Schöpfer eines Werkes soll das Werk auch gehören. Der nichtautorisierte Nachdruck wurde in dieser Zeit umgedeutet – von einem Prozess der Vervielfältigung von Wissen und Kunst zu einem Eingriff in das Eigentumsrecht des Schöpfers. Es handelt sich um eine Vorstellung, die seitdem als kultureller Grundkonsens gilt, auch wenn in der konkreten Praxis der Publikation und Distribution von Kunstwerken natürlich ständig Konflikte über Eigentumsfragen ausgefochten wurden.
Seit einiger Zeit hat man den Eindruck, dieser Grundkonsens sei im Zeichen der digitalen Gegenwart aufgekündigt worden. Mitte März veröffentlichte die Firma OpenAI ein Update zu ihrem KI-Bildgenerator, der es unter anderem möglich machte, Bilder im Stil der Animationsfilme von Hayao Miyazaki (Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland oder Mein Nachbar Totoro) zu erstellen, die für ihre Mischung aus liebenswert-idyllischer Bildsprache und der beunruhigend wuchernden Fantasie ihrer Märchenwelten bekannt sind.
Nach der Veröffentlichung des Updates überschwemmte eine Flut an Bildern in der nach dem Studio, das Miyazaki mitgründete, so genannten Ghibli-Ästhetik die sozialen Netzwerke. Mit nur wenigen Klicks können die eigenen Hochzeitsfotos, beliebte Memes oder andere fiktionale Universen wie Herr der Ringe in diesem Stil darstellt werden. Für OpenAI war die Aktion ein großer Erfolg, der die Nutzerzahlen in die Höhe schießen ließ. Auch der CEO der Firma, Sam Altman, änderte auf der Plattform X seinen Avatar zu einem Ghibli-artigen Bild. Gleichzeitig sorgte diese Vergesellschaftung eines beliebten Stils aber auch für Ärger und Entsetzen. Jenny G. Zhang, Redakteurin des Magazins Slate, schrieb: Hayao Miyazaki Would Hate You Fucking Losers.
Für die Autorin ist die Herstellung von Ghibli-Slop (»Slop« bezeichnet in Bezug auf KI-generierte Inhalte den schleimigen Müll, der die sozialen Netzwerke verstopft und verschmutzt) ein regelrecht böser Vorgang. Social Media sei mit »random shit« geflutet worden. Es handele sich um eine »Innovation«, die menschengemachte Schöpfungen stehle, um sie zu zerkauen und dann Überreste auszuspucken, die jede Originalität, jeden Geist und jede Arbeit vermissen lassen – all die Charakteristika also, die Kunst überhaupt erst zu Kunst macht.
Die heftige Emotionalität, mit der der Fall der massenhaften Ghiblifizierung aufgeladen zu sein scheint, macht die gravierenden Probleme sichtbar, die durch die rapide Verbreitung leistungsfähiger Künstlicher Intelligenz für das Konzept des ästhetischen Eigentums entstehen können. Etablierte Vorstellungen davon, was in der Gegenwart noch Werkherrschaft ist und sein kann, werden infrage gestellt. Eine Ästhetik, die zuvor von wenigen Personen hervorgebracht werden konnte, steht auf einmal jedem Menschen zur Verfügung, der bereit ist, sich bei OpenAI anzumelden. Der Prozess ist kinderleicht: Man muss nur in das Chat-Fenster die Bitte eingeben, ein Bild im Stil von Ghibli zu erstellen, und kurze Zeit später ist dieses Bild abrufbar. Der Effekt ist – auch nach Jahren mit KI-Bildgeneratoren – nach wie vor erstaunlich. Die Bilder fangen den Zauber der Vorlage auf den ersten Blick fast perfekt ein.
Man muss sich die Frage stellen, warum der Fall der Ghiblifizierung für besondere Empörung gesorgt hat. Ein Grund dafür wird der Geniekult sein, der um den Auteur der Filme herum aufgebaut wurde. Dokumentationen zeigen Hayao Miyazaki als ultraskrupulösen Künstler, der sich und sein Team bis zum Äußersten treibt – eine in jeder Hinsicht altmodische Figur, in der sich der Handwerker, der sich eine Schürze anzieht und jeden Tag an den Zeichentisch setzt, und der Meisterkünstler, der sich mit seinem Perfektionismus quält, verbinden. Eine solche Figur bietet sich als Gegenmodell zur Digitalisierung des Ästhetischen natürlich an. Kyle Chayka etwa schrieb angesichts des Konflikts um die KI-generierten Bilder im New Yorker, die Filme von Studio Ghibli könne man als essenziell »menschliche« Kunstwerke bezeichnen. Behauptet wird im Fall der Werke Miyazakis also eine besondere Humanität, die nicht nur auf Handlungs- und Figurenebene zu erkennen ist, sondern auch in der Art des Hervorbingens liegt, im Charakter des Handgemachten.
Kurz nachdem ChatGPT begann, unzählige Ghibli-Bilder auszuspucken, kursierte in den sozialen Netzwerken ein alter Clip, in dem Miyazaki eine Gruppe junger Männer, die ihm ihre KI-Videotechnik vorführten, mit äußerster Strenge abkanzelt und ihr Projekt »eine Beleidigung des Lebens selbst« nennt. Dieses harsche Urteil ist sicher auch Ausdruck des Entsetzens über das groteske Wesen, das sich in der Präsentation mit schlackernden Gliedmaßen mühsam kriechend voranbewegt und über das der Mann, der es vorstellt, selbst sagt, es sei sehr gruselig und könne in Zombie-Videospielen eingesetzt werden. Miyazaki antwortet, er müsse an seinen körperlich eingeschränkten Freund denken, dem es schwerfalle, ihm ein High five zu geben; wer solche monströsen Figuren erschaffe, wisse nicht, was Schmerzen sind. Die sichtlich beschämten Programmierer verteidigen sich: Es sei eben ein Experiment. Auf die Frage, was ihr Ziel sei, antworten sie mit einem gewissen Trotz: eine Maschine zu schaffen, die Bilder wie ein Mensch zeichnen kann.
Grundsätzliche Aspekte dieses Konflikts zwischen Maschine und Künstler, der vor allem um Konzepte wie »Kreativität«, »Originalität«, »Urheberrecht« oder »Authentizität« ausgefochten wird, werden schon länger erforscht und wurden etwa in dem von Stephanie Catani herausgegebenen Handbuch Künstliche Intelligenz und die Künste umfassend erschlossen. Dabei zeigt sich, wie die Abwehr der kunstmachenden Künstlichen Intelligenz den anthropozentrischen Charakter echter Ästhetik immer mehr verstärkt. Das gilt – wie Antonius Weixler in seinem Beitrag vermerkt – gerade in Bezug auf das »Hochwertphänomen« der Authentizität, deren Zuschreibung oder Aberkennung zu »ästhetischen ebenso wie zu moralischen Urteilen« führen kann.