Heft 848, Januar 2020

Geschichtskolumne

Afrika von Andreas Eckert

Afrika

Der langjährige Afrika-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Georg Brunold, veröffentlichte vor einem Vierteljahrhundert eine Reportagensammlung mit dem schönen Titel Afrika gibt es nicht. Damit wollte er etwa auf die Tatsache verweisen, dass kein Kontinent linguistisch und kulturell so vielfältig ist wie dieser. Als Landmasse reicht Afrika vom Kap der Guten Hoffnung bis zum Delta des Nil, umfasst Marokko ebenso wie Mosambik. Die meisten Bewohner dieses kontinentalen Raums, aber auch die Mehrheit der Amerikaner und Europäer machen jedoch eine klare Trennung zwischen »Nordafrika« und dem »subsaharischen Afrika« beziehungsweise »Schwarzafrika«.

Diese Unterscheidung trägt eindeutig »rassische«, ja rassistische Konnotationen: Afrika ist dort, von wo schwarze Menschen stammen. Wenn man jedoch die Validität der Klassifizierung der Weltbevölkerung in rassische Gruppen anzweifelt – und damit der einschlägigen naturwissenschaftlichen Forschung folgt, die das Konzept der »Rasse« für Schmu hält –, wird man nicht umhinkommen festzustellen, dass Afrikaner sich untereinander ebenso unterscheiden wie von anderen und dass aus stammesgeschichtlicher Sicht alle Menschen Afrikaner sind.1

Die Bedeutung des Begriffs »Afrika« und speziell des subsaharischen Afrika muss historisch hergeleitet werden, und sie ist eng mit dem Sklavenhandel und damit mit dem schrecklichsten Aspekt der Geschichte des Kontinents verknüpft. Seit dem 16. Jahrhundert begannen europäische Sklavenhändler Küstenplätze in Afrika anzufahren, um Sklaven und deren Arbeitskraft zu erwerben. Die physischen Erscheinungsformen der Sklaven dienten als ein Marker für die Entscheidung darüber, wer, auf der einen Seite des Atlantik, gekauft und wer, auf der anderen Seite, in Sklaverei gehalten werden konnte. Die Bedeutung von »Afrika« änderte sich in der Folge vor allem in der afrikanischen Diaspora selbst. Die versklavten Menschen und ihre Nachfahren fingen an, von sich nicht nur als Besitz anderer, sondern als »Afrikaner« zu denken, als Menschen, die von irgendwo kamen.

In den Vereinigten Staaten nannten sich ehemalige Sklaven, die zum Christentum konvertiert waren, »Äthiopier«, nicht weil ihre Vorfahren aus diesem Teil Afrikas stammten, sondern weil es biblische Geschichten von König Salomon und der Königin von Saba evozierte. »Äthiopien« oder »Afrika« kennzeichneten ihren Platz in einer Universalgeschichte. Im 19. Jahrhundert schließlich reklamierten einige afroamerikanische Intellektuelle, dass die alten Ägypter schwarz gewesen seien und dass Afrika über Ägypten zentrale Einflüsse auf Griechenland, Rom und die Weltzivilisation ausgeübt habe, ein Argument, das seither immer wieder von afrozentrischen Stimmen bemüht wird.2 Die Stichhaltigkeit dieser Behauptung erscheint höchst fraglich, aber entscheidend ist auch hier, dass »Afrika« zuerst als Diaspora in Erscheinung trat, die ihren Platz in der Welt geltend zu machen suchte.

Afrika in der Welt

Als die Mehrzahl der afrikanischen Kolonien um 1960 die formale Unabhängigkeit erlangte, etablierten mit dem Kontinent befasste Historiker sogleich eine Periodisierung seiner Geschichte in eine »vorkoloniale«, »koloniale« und »nachkoloniale« Periode. Die erste und die letzte dieser Perioden waren demnach durch die Autonomie afrikanischer Gesellschaften charakterisiert. Die vorkoloniale Zeit stand für das Zeitalter der großen Reiche, Häuptlingstümer, Dorfräte, Verwandtschaftssysteme; die nachkoloniale Ära für Nationalstaaten, jeder mit seiner eigenen Flagge, Pässen, Währungen, einem Platz in den Vereinten Nationen und zahllosen anderen internationalen Organisationen und dem Anspruch, Produktion und Handel innerhalb der nationalen Grenzen zu regulieren und zu besteuern.

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