Sommerschnee und Herbstzeitlose
von Anke StellingFür den Fall, dass du nicht mitzählst und nicht merkst, dass schon wieder Anfang Juli ist, lass dir gesagt sein: Es ist schon wieder Anfang Juli, die erste Hälfte des Jahres ist vorbei, das hier ist die siebte Kolumne, der Zenit meines Zyklus ist ebenso überschritten wie der der Jahreszeiten. Und? Nichts und, außer dass es aufs Ende zugeht. Und das heißt einiges.
An anderer Stelle hatte ich bereits erwähnt, dass – oh ja, genau das heißt es auch: dass jetzt immer öfter hier zu lesen sein wird, ich hätte an anderer Stelle dies oder das bereits behauptet – ich wollte sagen, ich hatte schon gesagt, dass ich gegen schnelles Sterben bin. Also nein, also schon – lieber schnell sterben, als zu lange zu leiden –, aber als Einstellung stört’s mich, als Pose in Apokalypsegesprächen – denen man derzeit nur durch schnelles Sterben entkommt. Ich jedenfalls meine halt zu wissen, dass es nicht so einfach ist, zu sterben. Auch dazu braucht es Talent.
Heikles Thema.
Aber wenn der Zenit überschritten ist, kommen die heiklen Themen aufs Tapet, oder? Dann ist es nämlich auch schon egal. Also: Schnallt euch an. Nein, lasst den Gurt eingerollt, hier wird sich nicht mehr abgesichert, ich trau’ mich jetzt auch – endlich rauszulassen, worum’s mir eigentlich geht.
Als ich vor zwei Jahren meinem Mann, während er Kartoffelsalat gemacht hat, Das Liebespaar des Jahrhunderts vorgelesen habe in der Küche – damals war er noch da, und die Ameisen waren’s noch nicht –, meinte er nach der Passage, wo die Erzählerin beschreibt, wie ihr die Wörter ausgehen und sie einen anhaltenden Druck auf der Brust verspürt und beim Anblick einer akkurat angebrachten Jalousie in Tränen ausbricht: »Warum sagt sie nicht einfach: Ich hatte eine Depression?«