Bessere Träume mit Kurd Laßwitz
von Christian Wiebe»Our greatest dream is to send a spaceship to Uranus«, schrieb Elon Musk am 30. Juni 2024 bei X. Der größte Traum des reichsten Menschen. Und gar der größte Traum von »Uns«, ein majestätisch aufgeplustertes Wir vielleicht oder die mitgemeinten Kollegen von SpaceX oder die freundliche Einladung, einfach mitzuträumen. Elon Musks Träume – und nicht nur sein größter – werden gerne zitiert, und sie sind unbedingt gutes Überschriftenmaterial: »Traum von Elon Musk: Implantate mit Schnittstelle zum menschlichen Gehirn«;1 schon länger im Gespräch: »Elon Musks Traum vom autonomen Fahren«;2 politischer wäre: »Elon Musk und der Traum, sich Wählerstimmen kaufen zu können«.3 Und um den Überblick nicht zu verlieren: »Elon Musk’s dream ideas«,4 ordnete der Guardian bereits 2018, damals allein auf Technologie bezogen und ohne einen Gedanken an Trump, die verschiedenen Träume. Jan Wetzel folgend wären diese wiederkehrenden Träume kein Zufall, sobald über Elon Musk nachgedacht wird. Auf den Punkt bringt Wetzel die Strategie als »Modell Musk, das Surfen an der Grenze von Imagination und Wirklichkeit«.5
Demnach gehören die Überschreitungen der Wirklichkeit zu Musks Konzept. Träume und Imaginationen sind zwar nicht dasselbe, aber gehören hier zusammen, als das, was noch nicht realisiert ist, was über die Wirklichkeit hinausragt, zugleich schon einen Platz bekommt, beschrieben, ausgestaltet wird, sich medial manifestiert – über die anderen Träume wissen wir schließlich nichts. Träume sind grö-ßer als Imaginationen, da sie an Lebensziele denken lassen, und sie sind kleiner, fast unschuldig, da sie uns widerfahren können, keine Aktivität voraussetzen. Musks Träume wurden vielleicht nie von ihm geträumt, angeblich schläft er ohnehin nicht viel, aber die Wortwahl ist bedenkenswert. Warum nicht Fantasien und Imaginationen? Warum immer wieder Träume?
Überraschend ist, wie eng Traum und Technik bereits in den ersten deutschen Science-Fiction-Texten zusammenhängen. Es wird nicht bloß imaginiert – das ließe sich kaum als Überraschung vermelden –, es wird geträumt. Ein Blick zurück zu Kurd Laßwitz lässt die Verbindung von Traum und Technik hervortreten. Denn in seinen Texten begegnen wir recht beständig träumenden Figuren und innovativer Technik. Kurd Laßwitz, der den richtigen Platz in der Literaturgeschichte noch immer sucht, trotz des Labels »erster deutscher Science-Fiction-Autor«, entwarf vor über hundert Jahren Bilder von weit fortgeschrittenen technologischen Gesellschaften.
1902 erschien erstmals seine Erzählung Die Fernschule,6 die mit einem gewissen Abstand zur Corona-Krise Lesevergnügen bereiten kann. Dort werden im »Fernlehrrealgymnasium« die Schüler mittels »Fernsprecher« und »Fernseher« unterrichtet, was einem digitalen Konferenzsystem ziemlich nahekommt. Ton und Bild werden in Echtzeit übertragen, die Namen der Schüler stehen am Rahmen: »Und nun drücken Sie. Hören Sie, es klingelt. Jetzt erscheint Ihr Bild auch den Schülern, und Sie können mit ihnen sprechen.« Der Unterricht läuft dann ab, wie Fernunterricht nun einmal abläuft: Einige Schüler erscheinen zu spät, haben Ausreden; die Aufgaben wurden nicht gemacht; statt zu lernen, fertigen die Schüler akustische Aufnahmen an, die sie wieder abspielen; und schließlich unterbricht der aufgezeichnete Vortrag des Lehrers, weil seine Frau während der Aufzeichnung fragte, ob er denn abends »Kunstspargel« essen wolle. Alles offenbar vorhersehbare Probleme. Am Ende erwacht der Lehrer Professor Frister aus einem kurzen Schläfchen, siehe da, es war ein Traum.
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