Heft 904, September 2024

Caspar David Friedrich als Probefall des Kulturgutschutzes

von Patrick Bahners, Charlotte Klonk

Eine strahlende Eigentümergemeinschaft trat am 12. Juli 2024 im Studiensaal des Berliner Kupferstichkabinetts vor die Presse. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die Klassik Stiftung Weimar sowie die Ernst von Siemens Kunststiftung haben mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder gemeinsam das »Karlsruher Skizzenbuch« von Caspar David Friedrich erworben, einen 18,4 mal 11,8 Zentimeter großen Pappband mit einem Wasserzeichen des englischen Papierfabrikanten James Whatman aus dem Jahr 1801, von dessen 40 erhaltenen Seiten – mindestens neun Blätter wurden herausgetrennt – 33 mit Zeichnungen gefüllt sind. Das Buch wurde zweihundert Jahre lang in der Familie von Friedrichs Malerfreund Georg Friedrich Kersting verwahrt und sollte am 30. November 2023 im Berliner Auktionshaus Villa Grisebach versteigert werden. Für einen Kaufpreis von 1,8 Millionen Euro erhielt ein ausländischer Bieter den Zuschlag. Wie später bekannt wurde, handelte es sich um das Metropolitan Museum of Art in New York. Der Verkauf kam nicht zustande, weil die Berliner Kulturverwaltung kurz vor dem Auktionstermin ein Verfahren zur Unterschutzstellung nach dem Gesetz zum Schutz von Kulturgut eingeleitet hatte. Gemäß der Empfehlung des zuständigen Sachverständigenausschusses ließ der Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt das Skizzenbuch im Mai 2024 in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes des Landes Berlin eintragen. Nachdem der Anwalt des Eigentümers, Peter Raue, zunächst eine Klage gegen die Eintragung und das mit ihr verbundene Ausfuhrverbot angedroht hatte, kam es doch noch zur Einigung über den Verkauf an das Konsortium der drei deutschen Museen, das in der Auktion das zweithöchste Gebot abgegeben hatte.

In der Berliner Pressekonferenz fanden alle acht anwesenden Repräsentanten der besitznehmenden und geldgebenden Institutionen eigene Worte, um das Besondere des Kaufobjekts zu umschreiben, Chefinnen und Chef der drei Museumsverbünde, die Direktorinnen der drei graphischen Sammlungen sowie die beiden Stiftungsgeschäftsführer. Aufgeschlagen lag das Buch hinter ihnen, und wie eine gewöhnliche Museumsführung war seine Präsentation eine Probe auf die Evidenz sprachlicher Fingerzeige. Warum war das Skizzenbuch der öffentlichen Hand 1,7 Millionen Euro wert?

Den Kurzvortrag der Dresdner Generaldirektorin Marion Ackermann, die am 1. Juni 2025 die Nachfolge Hermann Parzingers an der Spitze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz antreten wird, könnte man wie eine Gerichtsrede analysieren: Sie hatte es auf die Widerlegung des Augenscheins abgesehen, begann mit der Feststellung, das Skizzenbuch sei »klein, aber hochbedeutend«. Vom handgreiflich Kleinen wandte sich die Beschreibung dessen Gegenteil zu, der »unglaublich großen Kunst« der Gemälde, auf denen sich Motive aus dem Buch wiederfinden lassen. Um eine Qualität zu beschwören, die über das Spannende oder Interessante alltäglicher kultureller Wertschätzung hinausgeht, knüpfte Ackermann ein ganzes Netz solcher begrifflicher Oppositionen oder paradoxer Figuren: Abstand und Nähe, zeitlose Geltung und momenthafte Genesis. Sie sprach ein Publikum an, dem Friedrichs Auseinandersetzung mit der Natur schon vertraut ist, die sich ihm aus dem Skizzenbuch doch erst erschließen soll. »Sie kennen ja alle seine Haltung zur Natur, dass er gesagt hat, es reicht nicht aus, nur das darzustellen, was vor einem liegt, sondern man muss auch etwas in sich haben.«

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