Heft 854, Juli 2020

Durch die Blume

Der Fall Emil Nolde von Charlotte Klonk, Patrick Bahners

Der Fall Emil Nolde

»Sehen: das ist doch nicht: zu den Akten nehmen.«

Siegfried Lenz, Deutschstunde

Im Juli 1933 hängte die Münchner Kunsthändlerin und Hitler-Unterstützerin Erna Hanfstaengl in der Wohnung ihres Bruders Ernst, des Auslands-Pressechefs der NSDAP, drei Werke von Emil Nolde auf, darunter das Ölgemälde Reife Sonnenblumen von 1932. Die Aktion war Teil einer Initiative von Unterstützern wie dem damaligen Direktor der Berliner Nationalgalerie Alois Schardt, die hofften, »Nolde als Apotheose der deutschen Kunstentwicklung erkennbar« zu machen.1 So resümiert Bernhard Fulda im Katalog der Nolde-Ausstellung 2019 in den Staatlichen Museen zu Berlin ein kunstpolitisches Projekt, das lange vor 1933 begonnen hatte. Der Maler selbst sah sich spätestens seit 1908 berufen, »eine große deutsche Kunst […] zu schaffen«, und sprach vom Kampf, der zu führen sei.2

Nach der Zurückweisung eines seiner Bilder aus der Jahresausstellung der Secession im Jahr 1910 und dem anschließenden offenen Konflikt mit Max Liebermann kam ein virulenter Antisemitismus hinzu, der es Nolde nach der Machtergreifung Hitlers erlaubte, sich als Wegbereiter der Bewegung zu inszenieren. Gerade saß er an einem detaillierten »Entjudungsplan«, den er einem »hohen Empfänger« zukommen lassen wollte. Ein Jahr später, 1934, heißt es in Noldes Memoiren, dass die Juden »als Leistung die Bibel und das Christentum« hätten, aber »durch ihre unglückselige Einsiedlung in den Wohnstätten der arischen Völker und ihre starke Teilnahme in deren eigensten Machtbefugnissen und Kulturen […] ein beiderseitig unerträglicher Zustand entstanden« sei.3 Man hatte also Grund zur Hoffnung, dass auch der Führer, für dessen Augen man die Bilder in der Wohnung Hanfstaengl aufgehängt hatte, den Kampfgenossen in den Werken wiedererkennen würde.

Der Versuch scheiterte, und Hitler zog unbeeindruckt wieder ab. Wenig später soll er sogar einen Wutanfall bekommen haben, als er Noldes Werke in der Berliner Nationalgalerie abermals zu sehen bekam. Vier Jahre später landeten die Sonnenblumen zusammen mit dem Polyptychon Das Leben Christi und anderen Werken des Künstlers in der Wanderausstellung »Entartete Kunst«. Nolde war fassungslos. Was jedoch zunächst als tragischer Irrtum erschien, erwies sich im Nachhinein als großes Glück. Im postum publizierten letzten Teil seiner Lebenserinnerungen gab Nolde an, dass ihm Bekannte und Freunde mit einem Bibelwort hätten Trost spenden wollen: »Sie wissen nicht, was sie tun.« Doch von einem Missverständnis wollte der Maler im Nachhinein nichts mehr wissen: »Sie aber wussten wohl, was sie taten.«4 Die Tatsache, dass seine Bilder in der Schmäh-Ausstellung hingen und 1941 über ihn ein Berufsverbot verhängt wurde, erlaubte es nach dem Krieg einem Kunsthistoriker mit ebenfalls brauner Vergangenheit, Werner Haftmann, Nolde als Opfer darzustellen. Nun erschien er nicht mehr als Herold der Nationalsozialisten, sondern als Befreier der Farbe: »Es war die Kraft der Farbe und ihre gleichnishafte Aussagekraft für das menschliche Gefühl, die Nolde zum Malen trieb. Dieser Weg, an dessen Ende die farbige Vision der Welt als persönliches Ausdruckszeichen stand, war sehr lang, schwer und einsam.«5 Indem er die Farbe von ihrer mimetischen Bindung erlöste, hatte er, so mochte man meinen, eigenhändig die dunklen Mächte besiegt. Was in der Nolde-Hagiografie vor und nach 1945 gleichblieb, war die Idee vom Künstler als einsamem Vorkämpfer. Die Erzählung von Noldes »Verfemung« unter Hitler schrieb fort, was seine Bewunderer vor 1933 über seine Behandlung durch Kunstkritik und Kunsthandel behauptet hatten.

In den zwanziger und dreißiger Jahren, als die biografische Erklärung von Kunst noch üblich war, hatte Nolde sich redlich bemüht, sein Werk mit seinem Leben und seinen Überzeugungen kurzzuschließen. 1927 gab der Hamburger Museumsdirektor Max Sauerlandt eine Auswahl seiner Briefe heraus; 1931 und 1934 erschienen die ersten beiden Bände seiner Erinnerungen. Das Jahr 1933 erlebte Nolde in der Erwartung, dass die Stunde der Wahrheit geschlagen habe. Für ihn gehörten die wechselseitige Beglaubigung von Kunst und Leben und die Möglichkeit einer nationalistischen Stilhygiene zusammen. Dass »der Charakter einer Kunst dem Charakter der Urheber entspricht«, hielt er für »sicher«, und er wollte, dass »eine reinliche Scheidung erfolgt, zwischen jüdischer u. deutscher Kunst, wie auch zwischen deutsch-französischer Mischung u. rein deutscher Kunst«.6 So wie die staatliche Politik ab 1933 vermeintlich volksfremde Bevölkerungsteile auszusondern begann, so propagierte Nolde eine volkscharakterologische Variante der kunsthistorischen Händescheidung.

Doch so sehr sich Nolde auch bemühte, so wenig half ihm die Engführung von Charakter und Werk. Nach 1945 erwies es sich indes für ihn als Glück, dass Hitler selbst radikal zwischen Werk und Autor unterschied und nur seinen eigenen Augen trauen wollte. 1967 behauptete Walter Jens, dass Hitler das Werk dabei richtig erkannt, der verhinderte Künstler sich also im Fall Nolde als Kunstkritiker bewährt habe. Auf Einladung der Stiftung Seebüll sprach er zum hundertsten Geburtstag des 1956 verstorbenen Malers. Die vorsichtigen Anfänge einer ideologiekritischen Betrachtung Noldes erklärte Jens für verfehlt: »Hier, meine ich, haben die Nationalsozialisten schärfer gesehen; ihnen galten Theoreme und Biographica nichts; sie interessierte nicht der Mann, ein Parteigenosse, der die Behörden bis zum Krieg mit seinen Querelen verfolgte, sie schauten aufs Werk, und das dünkte ihnen so bedrohlich, dass sie ausgerechnet den, der gern ihr Paladin gewesen wäre, mit besonderer Tücke verfolgten, denn seine Kunst sprach gegen ihn – auf dieser Art von Malerei waren keine Throne zu bauen.«7

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