Heft 856, September 2020

Hexen und Leihmütter

Silvia Federicis Kapitalismustheorie von Timo Luks

Silvia Federicis Kapitalismustheorie

Jede Theorie des Kapitalismus steht und fällt mit der Entscheidung, welche Aspekte seiner Geschichte sie ein- oder ausschließt. Im historischen Material, auf anekdotischem oder definitorischem Weg gewonnene Behauptungen der wesentlichen Merkmale des Kapitalismus implizieren Setzungen über seine räumliche und zeitliche Ausdehnung. So hat die Definition als kapitalintensive Massenproduktion nicht nur den Effekt, Kapitalismus, Wirtschaftswachstum und industrielle Revolution bis zur Ununterscheidbarkeit ineinander zu schieben. Sie führt auch dazu, dass bestimmte Weltregionen und Epochen aus der Geschichte herausgeschrieben werden.1

Die Zuspitzung von Kapitalismus auf Industriekapitalismus ist nur ein Beispiel. Andere Beispiele sind die Debatten um Kolonialismus, Sklaverei oder den Stellenwert des frühneuzeitlichen Handelskapitalismus für eine Gesamtgeschichte des Kapitalismus. Nicht zuletzt haben Kapitalismustheorien, die sich auf eine bestimmte historische Phase beziehen, Schwierigkeiten, neue Entwicklungen wie den vieldiskutierten digitalen oder Plattform-Kapitalismus zu verstehen. Das Spannungsverhältnis von Kapitalismustheorie und Kapitalismusgeschichte lässt sich nicht auflösen, sondern muss immer wieder neu ausbuchstabiert werden.

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