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David Graebers und David Wengrows Geschichte der Menschheit im Konjunktiv von Timo LuksDavid Graebers und David Wengrows Geschichte der Menschheit im Konjunktiv
Die Qualität einer Polemik entscheidet sich an der Qualität der Sparringspartner, die sie herbeizitiert, um sie vor den Augen der Leserinnen und Leser kunstvoll zu zerlegen. David Graeber und David Wengrow haben mit Anfänge eine Polemik vorgelegt, auch wenn sie als wissenschaftliche Darstellung des »frühen menschlichen Soziallebens« präsentiert wird, die sich aus »den tatsächlich vorliegenden Quellen« ergebe.1 Überall, nicht zuletzt in populären Geschichten der Menschheit von Francis Fukuyama über Jared Diamond und Steven Pinker bis hin zu Yuval Noah Harari, entdecken Graeber und Wengrow eine »Schulbuchversion der Menschheitsgeschichte«, die auf Hobbes und Rousseau zurückgehe.
Demnach sei ein glücklicher Zustand der Gleichheit in kleinen Gemeinschaften durch die Erfindung der Landwirtschaft und die Entstehung von Städten unwiederbringlich verlorengegangen; oder aber es tobten solange die wilden Leidenschaften menschlicher Wölfe, bis Staaten entstanden, um sie zu bändigen. Gemessen an den Forschungsergebnissen der Archäologie und Anthropologie seien diese Geschichten »schlicht und einfach unwahr«, »mit schlimmen politischen Konsequenzen verbunden« und dafür verantwortlich, »dass die Vergangenheit langweiliger als nötig erscheint«. Anfänge will »eine völlig neue Darstellung der Entwicklung menschlicher Gesellschaften in den vergangenen 30 000 Jahren« sein, die nicht am Problem des Wohlstands und der ungleichen Verteilung materieller Ressourcen ansetzt, sondern an der Frage, »ob wir alle die gleiche Möglichkeit haben, an Entscheidungen mitzuwirken, die unser Zusammenleben betreffen«.
Soziale Ordnung als spielerische Versuchsanordnung
Die unvoreingenommene Kartierung der Menschheitsgeschichte lässt für Graeber und Wengrow nur eine Schlussfolgerung zu. Demnach bestehe das »Wesen unseres Menschseins« darin, »dass wir bewusste politische Akteure sind und deshalb innerhalb einer großen Bandbreite sozialer Arrangements entscheiden können«. Anfänge zeichnet diese Vielfalt nach und versucht, die These einer spielerischen Natur des Menschen zu plausibilisieren.
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