Geister am Palmenstrand
von Valentin GroebnerIch war schon einige Male auf der Insel gewesen, bevor mir aufging, dass sie voller Gespenster war.
Die Insel gilt als einer der schönsten Orte der Welt, und das seit ziemlich langer Zeit. Die Weltkarten des Mittelalters verzeichneten dort das Paradies. Auf ihrem höchsten Berg, berichtete der Missionar Johannes von Marignola im 14. Jahrhundert an Kaiser Karl IV., habe Adams Haus gestanden. Man könne seinen Fußabdruck dort besichtigen, und die Bäume mit den köstlichen Früchten, die überall auf der Insel wüchsen, stammten aus seinem Garten. Das hatte er von seinen muslimischen Informanten: Arabische Kaufleute hatten seit der Antike Zimt aus Sri Lanka in den Vorderen Orient und nach Europa geliefert, dazu Edelsteine.
Im 16. Jahrhundert wurde die Insel Teil des portugiesischen Kolonialreichs, im 17. des holländischen und am Ende des 18. des britischen Empire, und dann zu einem der tropischen Sehnsuchtsorte der Moderne. »Ich war in der Hölle«, schrieb Anton Tschechow 1890 über seine Reise nach Sibirien und auf die Insel Sachalin, »und dann im Paradies, auf der Insel Ceylon.« Wie in einem Traum sei es dort, berichtete Hermann Hesse von seinem Aufenthalt 1911, »weithin wehende Palmenwelt« voller bunter Vögel und Schmetterlinge, und er »im seligen Reiserausch«. Seither wiederholt das jeder Reisebürokatalog, heute ergänzt mit Fotos von Traumstränden, buddhistischen Tempeln und Naturparks voller wilder Elefanten.
Deswegen war ich ja hergeflogen. Ich wohnte in einem Gästehaus am Meer mit Pool und schönen Bungalows unter den Palmen; hinter den Mangroven kam dann nur noch ein endlos langer Strand. Zum Gästehaus gehörten eine Schule für Kinder aus armen Familien und Weiterbildungskurse für Frauen, vor vierzig Jahren von einem engagierten Wiener Paar gegründet, die daraus eine gut vernetzte Stiftung mit einer großartigen Bibliothek gemacht hatten. Aus Österreich kam auch die Mehrzahl der Feriengäste, die meisten im gesetzten Alter. Es gab wunderbares Essen, morgens Yoga unter den Palmen und eine fürsorgliche singhalesische Ayurveda-Ärztin, die einem Massagen verschrieb, wenn man das wollte, und Diäten.
Man nahm alle Mahlzeiten gemeinsam an einem langen Tisch ein, und deswegen erfuhr man schnell sehr viel über die anderen. Eine Galeristin. Ein Schriftsteller (Wien). Eine Filmregisseurin (auch Wien). Eine Fernsehjournalistin. Eine erfolgreiche Geschäftsfrau und ihre Freundinnen, die über die besten Orte zum Abnehmen redeten und sich laut wünschten, doch wieder wie früher zu sein, nicht ganz jung, sondern so wie vor zehn Jahren. Das sollte der Aufenthalt auf der Insel bewirken, das Yoga, das exotische Essen, die Spaziergänge am Meer und die Konsultationen bei der Frau Doktor, denn so ungefähr fassten sie die Versprechen der Ayurveda-Kur auf, als Wiederherstellung.
Dann kam ein neues Paar an, aus London. Er Australier, sie aus Hamburg, beide minimalistisch in Schwarz und Beige und mit großen schwarzen Hornbrillen. Wie sie hierhergekommen seien? »Wir haben«, sagte sie etwas verlegen, »Fotos von dem Resort gesehen, und die haben uns sehr gefallen.« Und wo? In einer Buchhandlung, in einem Bildband: Where Architects Stay.
Sie waren auf der Suche nach Schönheit, und die umgab einen auch in verschwenderischer Fülle mit all den Palmen, blühenden Bäumen und schwirrenden Kolibris, der Bibliothek und der eleganten tropischen Moderne der Bungalows. Deswegen waren wir hier. Und wegen des perlmuttigen Himmels, nachdem die Sonne untergegangen war und die Palmen, das Meer und der Himmel für einen langen Moment zu leuchten begannen, in einem unwirklich orangenen Honiglicht.
Gleichzeitig war die schöne Insel voll mit Gespenstern – oder Geistern, unsichtbaren Mächten jedenfalls, von denen einem die Einheimischen schnell und bereitwillig erzählten und mit denen man rechnen musste. Jeder Tag, jeder Monat und jedes Jahr, davon war man auf der Insel überzeugt, habe seine Unglücksmomente, in denen alles schiefgehen müsse. Diese rahu kalaya wiederholten sich je nach Mondphasen und Sternkonstellationen in ständig wechselndem Rhythmus.
Alle Unternehmungen – von Firmengründungen und Hochzeiten bis zu Bauarbeiten für jedes neue Gebäude – benötigen deshalb ein sorgfältig berechnetes Horoskop. Vor dem Bau eines Hauses wurde auf dem Grundstück ein improvisierter kleiner Tempel aus Palmblättern aufgestellt, beleuchtet mit einer Öllampe. Darin wurden zwei Schalen mit Schnaps und Zucker gestellt, um die Geister aus dem Wald anzulocken, denn die mögen hochprozentigen Alkohol und Süßes. Am nächsten Morgen kam ein buddhistischer Mönch in seiner strahlend orangeroten Robe und vollzog die Riten, mit denen diese Dämonen wieder vertrieben wurden; erst dann konnten die Bauarbeiten beginnen.
Auf jeder Baustelle war außerdem eine menschengroße Puppe aufgestellt, aus Holz und Stoffresten gebastelt: Sie sollte den Neid der Vorübergehenden auf das teure neue Haus auf sich nehmen. Sie stand auch auf den Baustellen für die riesigen dreißigstöckigen Wolkenkratzer, die im Zentrum der Hauptstadt von chinesischen Investoren hochgezogen wurden, nur fielen sie einem da nicht so auf. Wenn das Haus fertig sei, wurde mir erzählt, werde die Puppe verbrannt.
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