Heft 901, Juni 2024

Geister am Palmenstrand

von Valentin Groebner

Ich war schon einige Male auf der Insel gewesen, bevor mir aufging, dass sie voller Gespenster war.

Die Insel gilt als einer der schönsten Orte der Welt, und das seit ziemlich langer Zeit. Die Weltkarten des Mittelalters verzeichneten dort das Paradies. Auf ihrem höchsten Berg, berichtete der Missionar Johannes von Marignola im 14. Jahrhundert an Kaiser Karl IV., habe Adams Haus gestanden. Man könne seinen Fußabdruck dort besichtigen, und die Bäume mit den köstlichen Früchten, die überall auf der Insel wüchsen, stammten aus seinem Garten. Das hatte er von seinen muslimischen Informanten: Arabische Kaufleute hatten seit der Antike Zimt aus Sri Lanka in den Vorderen Orient und nach Europa geliefert, dazu Edelsteine.

Im 16. Jahrhundert wurde die Insel Teil des portugiesischen Kolonialreichs, im 17. des holländischen und am Ende des 18. des britischen Empire, und dann zu einem der tropischen Sehnsuchtsorte der Moderne. »Ich war in der Hölle«, schrieb Anton Tschechow 1890 über seine Reise nach Sibirien und auf die Insel Sachalin, »und dann im Paradies, auf der Insel Ceylon.« Wie in einem Traum sei es dort, berichtete Hermann Hesse von seinem Aufenthalt 1911, »weithin wehende Palmenwelt« voller bunter Vögel und Schmetterlinge, und er »im seligen Reiserausch«.1 Seither wiederholt das jeder Reisebürokatalog, heute ergänzt mit Fotos von Traumstränden, buddhistischen Tempeln und Naturparks voller wilder Elefanten.

Deswegen war ich ja hergeflogen. Ich wohnte in einem Gästehaus am Meer mit Pool und schönen Bungalows unter den Palmen; hinter den Mangroven kam dann nur noch ein endlos langer Strand. Zum Gästehaus gehörten eine Schule für Kinder aus armen Familien und Weiterbildungskurse für Frauen, vor vierzig Jahren von einem engagierten Wiener Paar gegründet, die daraus eine gut vernetzte Stiftung mit einer großartigen Bibliothek gemacht hatten. Aus Österreich kam auch die Mehrzahl der Feriengäste, die meisten im gesetzten Alter. Es gab wunderbares Essen, morgens Yoga unter den Palmen und eine fürsorgliche singhalesische Ayurveda-Ärztin, die einem Massagen verschrieb, wenn man das wollte, und Diäten.

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