Kill your darlings: Polleschs Irrtum, Wennschondennschons Küche
von Christoph ParetDas Zusammen-Pizza-Essen, das ist das Problem.
René Pollesch, Kill your Darlings
Zweitbester
Name eines Wiener Lokals
Das Gegenstück zu den Klagen über Leistungsdruck, Versagensängste oder das »Impostor-Syndrom« besteht in der kaum einmal eingestandenen Angst, etwas Definitives zu schaffen. Die Befürchtung, niemals gut genug zu sein, verbirgt womöglich nur die gegenteilige Befürchtung, einmal gut zu sein. Denn was sollte danach noch kommen? Man denke beispielsweise an Lévi-Strauss, der spätestens in den sechziger Jahren seine bindenden Werke geschrieben hat, der als Strukturalist geistesgeschichtlich eingeordnet ist, um dann im Jahr 2009, als niemand mehr an ihn denkt, alle Welt mit seiner Todesnachricht zu überraschen: Da hatte einer offenbar vier Jahrzehnte lang sein Leben in der Form des Nachlebens zugebracht. Canetti: »Einer, der sein Lebenswerk mit Dreißig vollbracht hat und dann hundert Jahre alt wird. Er hat Zeit, seinen Ruhm, seine Vergessenheit und seine Wiederentdeckung zu erleben.«
Schwer zu sagen, was vermessener ist: das ewig optimistisch-verbissene »Da geht noch was« oder das resignativ-gelassene »Er sah, dass es gut war«. Der Beginn von Baudrillards Cool Memories: »Die anfänglich überwältigende Wirkung der Wüsten und Kaliforniens ist verschwunden, und doch, um ehrlich zu sein, gibt es etwas Schöneres auf der Welt? Es scheint unwahrscheinlich. Ich muss davon ausgehen, dass ich – einmal im Leben – den schönsten Ort gefunden habe, den ich jemals sehen werde. Genauso vernünftig ist es, anzunehmen, dass ich auch die Frau getroffen habe, deren Schönheit mich am meisten verblüffte und deren Verlust mich am meisten verletzte. Eine zweite Eventualität der gleichen Ordnung ist unwahrscheinlich – in jedem Fall würde die Frische, die Ungekünsteltheit des Ereignisses verloren gehen. Genauso wahrscheinlich ist es, dass ich auch das eine – oder die zwei – besten Bücher geschrieben habe, die ich je schreiben werde. Sie sind abgehakt. Das ist der Lauf der Dinge. Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein zweiter Geistesblitz an dieser unumkehrbaren Tatsache etwas ändern wird. Hier beginnt der Rest des Lebens. Aber der Rest ist das, was einem als Extra gegeben wird, und es hat einen Charme und eine besondere Freiheit, einfach alles kommen zu lassen, mit der Gnade – oder dem Ennui – eines späteren Schicksals.« Das restliche Leben als (nicht mehr ganz so) schönes Extra. Baudrillard sollte zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen noch siebenundzwanzig Jahre zu leben haben.
Kill Your Darlings
Wenn man das Beste hinter sich hat, muss man sich nicht mehr beweisen. Man kann schicksalsergeben der Dinge harren, die da kommen. Es bleiben cool memories. Es sei denn, und hier schaltet sich René Pollesch ein, man hätte in vorauseilender Resignation auf das Beste immer schon verzichtet. War das nicht der Witz seines vielleicht besten Stücks, um dessen beste Stücke man fortlaufend gebracht werden sollte?
»Warum bringt sich eigentlich niemand mehr aus Liebe um?
Die besten Szenen werden Sie heute Abend nicht sehen, denn die würden wir alle nicht ertragen.
Deswegen heißt der Abend ›Kill your Darlings‹.
Alle fallen auf den Boden.
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