Heft 867, August 2021

»Wenn der Epigone kommt, ist die Party vorbei«

Geoffrey Bennington, Jacques Derrida und die Post-Theorie von Christoph Paret

Geoffrey Bennington, Jacques Derrida und die Post-Theorie

Anfang der neunziger Jahre bittet Jacques Derrida den jungen Literaturprofessor Geoffrey Bennington, eine Einführung in sein Denken zu schreiben.1 Zweierlei spricht für ihn dafür, Bennington mit der Aufgabe zu betrauen: Dieser ist kein Franzose und zugleich bislang nicht als Dekonstruktivist hervorgetreten. Um gut einzuführen, muss man minimal draußen sein. Auch Derrida selbst liefert einen Beitrag zu dem Band. In der Endversion präsentiert Bennington im Fließtext ein »Derrida-Programm«, auf das Derrida mit neunundfünfzig (Derrida steht im neunundfünfzigsten Lebensjahr) Fußnoten antwortet.2

Erst heute lässt sich ermessen, was sich in diesem Buch abspielt. Das liegt nicht unbedingt daran, dass wir uns aufgrund der zeitlichen Distanz in einer privilegierten Position befänden, im Gegenteil. In den letzten drei Jahrzehnten wurde verschiedentlich festgestellt, wir wären in eine Zeit after theory eingetreten. Seit Jahrzehnten sei der Posten der Theoretiker vom Schlage eines Derrida vakant. Trifft dieser Befund zu, dann entspräche unsere Situation exakt der Lage Derridas zu dem Zeitpunkt, als er sich mit Benningtons Ausführungen konfrontiert sieht. Nur dass es eben Derrida selbst ist, der hier am eigenen Leib zu spüren bekommt, was es bedeutet, über »Derrida« nicht hinauszukommen.

Ideengeschichte nach dem »Ende der Theorie«?

Die Rede vom »Ende der Theorie« besagt nicht, dass sich seit einigen Jahrzehnten niemand mehr für Theorie interessieren würde – denn dann träte dieses Ende gar nicht erst in den Fokus der Aufmerksamkeit. »Ende der Theorie« beschreibt vielmehr den merkwürdigen Umstand, sich ohne Ende mit den immerselben Theoretikern zu beschäftigen, deren eigentümliche Unsterblichkeit daher rührt, dass die Theorie gewissermaßen mit ihnen gestorben ist.3

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