Günter Hack im Merkur

Günter Hack, geb. 1971, Autor und IT-Projektmanager. 2018 erschien Quiz.
33 Artikel von Günter Hack

Gedächtnis des Kuckucks

Der Kuckuck ist eher ein Prinzip als ein Vogel. Er kommt von weit her, aus Afrika, um der lokalen Population seinen Nachwuchs zur Aufzucht zu überlassen. Damit konzentriert er alle Urängste des sesshaften Patriarchats von fremder Invasion bis hin zu sexueller Unterwanderung in seiner Person. »Kuckuck! Kuckuck! Ruft’s aus dem Wald«, heißt es im Kinderlied, der Frühling kommt, er ist subversiv. In der Landschaft verhalten sich Kuckucke eher zurückhaltend. Die Exemplare, die ich beobachte, sitzen gern in

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Gespräch mit einem Hänfling

Der Hitzesommer vor drei Jahren hat in der ganzen Siedlung die Hecken verbrannt. Die Hausbesitzer ersetzten ihre Thujenhecken durch Metallgitter mit eingeflochtenen Kunststoffbahnen, alles blickdicht, die ersten architektonischen Zeichen der Klimakatastrophe. Die zugeschnittenen Thujenwände mögen nicht viel schöner gewesen sein, aber sie waren wenigstens Pflanzen, und damit Lebensräume für Spinnen, Insekten und Vögel. Die Hecke an der Grundstücksgrenze meiner Eltern beherbergte jahrzehntelang zwei

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Pirol /Kein Pirol

Im ersten Monat der Covid-19-Krise war ich einer von jenen Leuten, die plötzlich sehr viel mehr arbeiten mussten als vorher. In den freien Minuten sehnte ich mich nach nichts. Ich zog einen Band mit Zeichnungen von John Cage aus dem Regal: Ryoanji. 1991 habe ich eine Ausstellung mit diesen Blättern in der Neuen Pinakothek besucht. Als Begleitprogramm schnurrten überall im Haus versteckte kleine Geräuschmaschinen vor sich hin. Ein Gefühl wie im Wald auf einem fremden Planeten. John Cage hat den Zen-Buddhismus

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Körperbilder

Zur Photogrammetrie Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich ein Gespenst werden. Es war ein Herbsttag, ich musste Holz für den Ofen aufschichten, eine besonders öde Aufgabe. Da dachte ich mir: Jetzt gehe ich immer denselben Weg. Und weil ich immer denselben Weg gehe, bleibt etwas von mir hier zurück, und weil ich immer hier bleibe, werde ich ein Gespenst und auch in hundert Jahren noch sichtbar sein, zumindest so ein bisschen. Wenn ich also oft genug hin und her lief, so dachte ich, dann würde ich

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Mit nur einer Schere

August in Niederbayern. Mit dem Rad, das meinem Großvater gehört hat, fahre ich tief in den Wald. Hier ist es nicht so heiß wie draußen, es hat wochenlang nicht geregnet. 2022 ist das Jahr Null der Klimakatastrophe. Ich fahre vor diesem Gedanken weg, an einen Ort, an dem ein Bach im Boden verschwindet. Zu dem Ort gibt es eine Legende: Der Geist einer reichen und geizigen Bäuerin sei dazu verdammt, hier umzugehen, weil sie mit ihren beiden Töchtern immer nachts Getreide von den Feldern der Nachbarn gestohlen

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Spuren der Schwarznuss

Drei Jahre lang hatte ich nur am Computer getippt, nun musste ich einen Strich ziehen. Um den Strich ziehen zu können, brauchte ich Material. Ich nahm einen Stoffbeutel, ging dem Oktoberwind entgegen, die Straße entlang, bis zur Eisenbahnbrücke. Hinter der Brücke wuchs auf einem festgestampften Stück Rasen zwischen Hauptstraße und geparkten Autos der Baum, den ich suchte. Ein Schwarznussbaum, Juglans nigra, schlanker Stamm, Äste vom Verkehr geschwärzt, Blätter bereits abgefallen. Ich bückte mich, tastete den

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