Heft 889, Juni 2023

Spuren der Schwarznuss

von Günter Hack

Drei Jahre lang hatte ich nur am Computer getippt, nun musste ich einen Strich ziehen. Um den Strich ziehen zu können, brauchte ich Material. Ich nahm einen Stoffbeutel, ging dem Oktoberwind entgegen, die Straße entlang, bis zur Eisenbahnbrücke. Hinter der Brücke wuchs auf einem festgestampften Stück Rasen zwischen Hauptstraße und geparkten Autos der Baum, den ich suchte. Ein Schwarznussbaum, Juglans nigra, schlanker Stamm, Äste vom Verkehr geschwärzt, Blätter bereits abgefallen. Ich bückte mich, tastete den Boden ab, fand tischtennisballgroße Früchte im Laub, die Hüllen schon angefault braun oder von Passanten ins Schwarze zertreten. Ich sammelte alles, bückte mich nach den weggerollten frischeren Früchten, ließ sie in meinen Stoffbeutel fallen. Das Material roch faulig, säuerlich, nach altem Schweiß.

Aber: nicht genügend Nüsse da. Ich musste also noch in den Park. Viele Menschen dort: Kinder, Mütter, Joggerinnen. Hinter dem Baum, den ich suchte, lief ein Mann in einem Jackett über dem Hoodie auf und ab und schrie auf Arabisch in sein Mobiltelefon. Mit meiner kaputten Regenjacke und dem Beutel, in dem ich angefaulte Zierfrüchte sammelte, musste ich aussehen wie ein Irrer. Nein, keine Polizei in Sicht. Der Verkehr auf den Hauptstraßen ringsum rauschte, ich klaubte weiter, bis der Beutel voll war. Im Rasen lagen noch viele Früchte. Kein heimischer Vogel würde die winzigen Nüsse mit ihrer ebenso dicken wie harten Schale essen; die Schwarznuss ist ein fremder Baum, eingeführt aus Nordamerika. Ich brauchte auch nicht die Nüsse selbst, nur die Hüllen, den Abfall. 

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen

Weitere Artikel des Autors