Das Auto ist eine Skulptur
von Sibylle SeverusWir haben ein Auto. Natürlich haben wir ein Auto. Es ist brandneu, es riecht nach? Dafür muss zuerst ein Wort erfunden werden – es riecht nach balabar.
Damit keine Fingerabdrücke auf dem Lack zurückbleiben, fassen wir es stets mit Handschuhen an. Selbstverständlich haben wir ein spezielles Auto. Wenn uns jemand fragt: Was haben Sie für einen Wagen?, nennen wir stolz die exklusive Marke des Gefährts.
Nach unserem Lottogewinn schwankten wir zwischen einer Antiquität, ein paar Quadratmetern Industrieland oder einem Segelflugzeug. Wir entschieden uns für das Auto. Kann bei Industrieland, einem Flieger, einer Antiquität die Farbe gewählt werden …
Denn zu der Zeit, als wir das Geld gewonnen hatten und die teure Marke erwarben (mit der es seither bergab geht), zu dieser Zeit liebten wir ein heftiges Rosa, metallisiert. Wir zahlten Cash, erzwangen einen Rabatt, und das Skonto ermöglichte den Aufpreis für ein verblüffendes Pink.
Damals konnten wir auf der Bank noch Mäppchen voll Noten abheben, ohne Wenn und Aber. Und Bankier zu sein, das galt als geachteter Beruf. Fragt mich heute jemand nach dem Geschäft meiner Vorfahren – jedenfalls bin ich froh, wenn niemand fragt.
In eine pinkfarbene Limousine gehören lila Sitze. Der exklusiven Firma, die bald zugrunde geht, ging das zu weit. Also häkelte ich mit meinen sieben Töchtern die Überzüge selbst in einem festlichen Dunkelviolett.
In unserem Garten pflanzten wir Essbares. Vom Restgeld kauften wir fünf Hühner, einen Hahn und eine Kuh.
Der Newsletter der Kulturzeitschrift MERKUR erscheint einmal im Monat mit Informationen rund um das Heft, Gratis-Texten und Veranstaltungshinweisen.