Heft 847, Dezember 2019

Bericht über die Drohne

von Sibylle Severus

Seit heute steht eine Drohne auf meinem Parkplatz. Unbemerkt ist sie dort gelandet. Bisher gab es keine unbemannten Flugobjekte in meinem Alltag.

Die Drohne steht plötzlich auf dem Parkplatz, mitten in der Mitte, groß wie eine Kesselpauke. Sie lässt mir genug Platz. Ich könnte um sie herumgehen. Sie ruht, zuckt nicht, summt nicht, blinkt nicht, stört nicht.

Die schwarze Skulptur steht auf hohen geknickten Beinen, die wie abgenagte Knochen aussehen. Dazu stürmt und blitzt es, der Regen prasselt schräg auf die Straße. Noch gehe ich von einer friedlichen Absicht aus. Früher verschickte man Blumengrüße, heute Drohnen. Niemand kann mich zwingen, etwas zu unternehmen, das Objekt anzufassen oder wegzuschieben. Die Drohne steht auf meinem Grund und Boden, ich bin für sie verantwortlich, sie ist mein Gast. Nur unberührt und unbeschädigt ist sie startklar.

Regen hämmert auf das Blechdach der benachbarten Garage. Wegen der starken Windböen ist das Prasseln auf- und abschwellend. Die Nässe, die dunkle Luft machen das Objekt fast unsichtbar. Eine Drohne auf meinem Parkplatz ist mir – wenn schon – im Regen lieber und im Dezember statt im leuchtenden Frühling oder in einem heißen Sommer, wenn sein Schwarz alle Hitze aufsaugte und das Ding in Flammen aufginge.

Der Parkplatz befindet sich an der Nordseite meines Reiheneckhauses. Als einer meiner Söhne zwölf Jahre alt war, warf er alle seine Bücher aus dem Estrichfenster hinunter auf den Gartenweg, der damals noch kein Parkplatz war. Er brauche nie mehr ein Buch, behauptete der Junge, auch das Büchergestell flog hinterher. Heute morgen, als ich im kalten Estrich das Fenster öffnete, fiel mir die Bücherabwurfgeschichte wieder ein. Ich muss gelächelt haben, als ich mich hinausbeugte, als ich – noch lächelnd – die Augenbrauen streng zusammenzog und den Kopf schüttelte, entsetzt, dort unten eine riesige Spinne zu sehen, die bei genauem Schauen eine Drohne war.

Eine Drohne.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen

Weitere Artikel des Autors