Bericht über die Drohne
von Sibylle SeverusSeit heute steht eine Drohne auf meinem Parkplatz. Unbemerkt ist sie dort gelandet. Bisher gab es keine unbemannten Flugobjekte in meinem Alltag.
Die Drohne steht plötzlich auf dem Parkplatz, mitten in der Mitte, groß wie eine Kesselpauke. Sie lässt mir genug Platz. Ich könnte um sie herumgehen. Sie ruht, zuckt nicht, summt nicht, blinkt nicht, stört nicht.
Die schwarze Skulptur steht auf hohen geknickten Beinen, die wie abgenagte Knochen aussehen. Dazu stürmt und blitzt es, der Regen prasselt schräg auf die Straße. Noch gehe ich von einer friedlichen Absicht aus. Früher verschickte man Blumengrüße, heute Drohnen. Niemand kann mich zwingen, etwas zu unternehmen, das Objekt anzufassen oder wegzuschieben. Die Drohne steht auf meinem Grund und Boden, ich bin für sie verantwortlich, sie ist mein Gast. Nur unberührt und unbeschädigt ist sie startklar.
Regen hämmert auf das Blechdach der benachbarten Garage. Wegen der starken Windböen ist das Prasseln auf- und abschwellend. Die Nässe, die dunkle Luft machen das Objekt fast unsichtbar. Eine Drohne auf meinem Parkplatz ist mir – wenn schon – im Regen lieber und im Dezember statt im leuchtenden Frühling oder in einem heißen Sommer, wenn sein Schwarz alle Hitze aufsaugte und das Ding in Flammen aufginge.
Der Parkplatz befindet sich an der Nordseite meines Reiheneckhauses. Als einer meiner Söhne zwölf Jahre alt war, warf er alle seine Bücher aus dem Estrichfenster hinunter auf den Gartenweg, der damals noch kein Parkplatz war. Er brauche nie mehr ein Buch, behauptete der Junge, auch das Büchergestell flog hinterher. Heute morgen, als ich im kalten Estrich das Fenster öffnete, fiel mir die Bücherabwurfgeschichte wieder ein. Ich muss gelächelt haben, als ich mich hinausbeugte, als ich – noch lächelnd – die Augenbrauen streng zusammenzog und den Kopf schüttelte, entsetzt, dort unten eine riesige Spinne zu sehen, die bei genauem Schauen eine Drohne war.
Eine Drohne.
Die Familie hatte dem Sohn des Bücherabwerfers, meinem Enkel, eine Drohne geschenkt. Begeistert sahen wir dem Jungen zu. Das Spielzeug flog die schönsten Schleifen, immer ausschweifendere, höhere, weitere, bis das Flugobjekt mit den schärfsten Augen nicht mehr zu erkennen war. Der Funkkontakt brach ab – Untröstlichkeit.
Nein!, rief ich, vom Estrich auf den Parkplatz schauend, und schloss leise die Fensterflügel.
Ich sehe mich noch die steile Treppe hinunter steigen, sehe mich die zwei untersten Stufen verpassen und auf den Absatz hingeworfen liegen, unverletzt, aber beschämt. Jeder auf dem Boden liegende Mensch schämt sich.
Ich ging nicht in den Garten. Inspizierte das Gerät nicht. Hoffte, nicht angesprochen zu werden. Beschloss, nichts zu tun, gar nichts.
Seit dem Einbruch in mein Haus weiß ich, dass die Polizei alles komplizierter macht, als es wäre, wenn man in Ruhe nachdenken dürfte. Der junge Beamte stellte ständig die Frage, wie hoch denn der Schaden sei. Woher sollte ich das im ersten Moment wissen? Auch musste die Terrassentür im November – der Himmel war von einem dunklen Grau mit perlmuttfarbenen Löchern – über Stunden offenbleiben und ich im kalten Zimmer ausharren. Es wurde nicht nur die kaputte Tür dokumentiert, es wurden alle aus den Schränken gezerrten, auf den Böden liegenden Haufen von jeder Seite fotografiert. Zur Ehre der Diebe muss gesagt werden, die Stapel lagen wie geordnet, nichts war zerstört. Und: Sie hatten den Computer, meinen Kopf, nicht mitgenommen. Der Polizist meinte abfällig, niemand interessiere sich für veraltete Elektronik. Trotzdem fand ich die Einbrecher fair, im Rahmen der Möglichkeiten, die sie bei der gebotenen Eile hatten.
Über den Roboter auf meinem Parkplatz wollte ich nicht mit der Polizei diskutieren. Sie haben, so viel ich weiß, noch keine Mittel, anonyme Piloten zu finden. Sie würden absurde Einfälle haben: dass das Ding vollgestopft sei mit Sprengstoff zum Beispiel. Ganze Straßen würden sie evakuieren und mein Haus, meine Person in die Öffentlichkeit zerren.
Die zum Leben notwendige Zuversicht, die ich jeden Morgen raffiniert aufrüste, litt unter dem fremden Objekt. Auch hatte der tief herabhängende Himmel etwas Bedrückendes.
An diesem ersten Drohnentag ging ich kein einziges Mal in die Nähe des Parkplatzes. Ich kann auf der Westseite zur Haustür, auf der Ostseite zur Kellertür hinaus, ich muss nicht auf die Nordseite. Natürlich hatte ich jedes Fenster, das vom morgendlichen Lüften her offen stand, geschlossen. Die Drohne hätte hereinfliegen, alles fotografieren und mich durchs Haus hetzen können: treppauf, treppab. Vermutlich wäre ich die Kellertreppe hinuntergestürzt und auf dem Steinboden, auf Flecken von blauer Ölfarbe liegengeblieben.
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